Mit deinen Augen
Kapuzenshirt, ebenfalls aus Frottee. Das Logo auf beiden Kleidungsstücken ist nicht zu übersehen. SILVER SPOON, steht da.
»Das ist deine Mutter?« Sie geht zum Fußende von Joanies Bett. »Dann stimmt es also. Ein Punkt abgehakt.«
Ich blicke zu Alex hinüber. Sie scheint genauso konsterniert wie ich. Scottie steht neben ihrer Freundin und berührt ihre Mutter an der Schulter.
»Soll ich ihr die Hand geben?«, fragt Reina.
»Wenn du möchtest«, sagt Scottie.
»Lieber nicht«, sagt Reina.
»Das ist grotesk«, murmelt Alex.
Ich hatte keine Ahnung, dass Mädchen so sein können. Reina beachtet uns gar nicht. Ich komme mir vor wie ihr Diener. Sid mustert sie mit gerunzelter Stirn, als wäre sie die schwierigste Gleichung, die ihm je untergekommen ist.
Reina hat eine Tasche dabei, so groß wie eine Rakete. Scottie stellt sich jetzt neben Sid. Er verwuschelt ihr die Haare. Sie lehnt sich an ihn, und als Reina sich umdreht, mustert sie die beiden und nickt. Dann schaut sie auf ihre Armbanduhr.
»Wo ist deine Mutter?«, frage ich sie.
»Zu Hause.«
»Sie ist nicht mit dir hierhergekommen? Mit wem bist du hier?«
»Ich? Mit keinem«, antwortet sie. »Unsere Haushaltshilfe wartet unten im Auto auf mich, aber ich bin mit niemandem hier.«
Etwas in Reinas Stimme weckt in mir den Wunsch, mit einem Luftgewehr auf sie zu schießen.Wenn sie sich jetzt hier aus irgendeinem Grund wehtäte und vor Schmerzen zu schreien anfinge, würde ich nur schadenfroh grinsen und erst später Hilfe holen.
»Hört mal zu, Mädels. Wie wär’s, wenn ihr rausgeht und euch ein Eis holt oder irgendwas …«
»Zu viele Carbs«, verkündet Reina.
»Wie bitte?«
»Kohlehydrate.«
»Dann hol dir ein Salatblatt, und anschließend gehst du am besten zu eurer Haushaltshilfe, Reina, damit sie nicht länger warten muss.«
»Damit er nicht warten muss. Er ist von Samoa und hat ein Herz aus Gold.«
»Okay, der Herr aus Samoa soll nicht länger warten müssen. Und du, Scottie, kommst hierher zurück, damit wir noch als Familie zusammen sind.«
»Kein Problem«, sagt Reina. »Ich wollte sowieso schon gehen.« Sie winkt Scottie zu. »Du bist also doch keine Lügnerin.«
Scottie blickt gehetzt von Sid zu ihrer Schwester und dann zu mir. Wovon redet Reina?
»Möchtest du nicht ein bisschen bleiben?«, fragt Scottie und macht sich von Sid los.
»Nein, ich muss noch die Choreografie für eine Tanzszene entwerfen.« Reina greift in ihre Handtasche, kontrolliert ihr Handy und verdreht die Augen. »Justin ist so ein Mongo«, sagt sie. »Okay, wir sehen uns dann im Club. Hoffe, deine Mom wird bald wieder gesund. Küsschen.«
Mit offenem Mund starren wir ihr hinterher. Als sie außer Hörweite ist, frage ich Scottie: »Was hat sie gemeint mit ›Du bist doch keine Lügnerin‹? Und was heißt ›Mongo‹? Warum nennt sie dich eine Lügnerin? Was ist los mit ihr?«
»Sie hat mir nicht geglaubt, dass Mom schläft und …« Sie verstummt, schaut Sid an und wird knallrot. »Und ›Mongo‹ ist das Gleiche wie behindert.«
»Und...«, sagt Alex.
»Das ist alles«, sagt Scottie.
»Du musstest dieser blöden Ratte beweisen, dass Mom im Koma liegt?«, schimpft Alex. »Tickst du noch richtig, verdammte Scheiße? Hast du überhaupt noch alle Tassen im Schrank?«
»Halt bloß die Klappe, du mutterlose Nutte«, zischt Scottie.
»Boah!«, sagt Sid. »Jetzt mach aber mal halblang.«
»Gibt es noch andere Sachen, bei denen du sie angeblich angelogen hast?«, fragt Alex.
Ich denke daran, wie Scottie sich an Sid schmiegte und wie Reina die beiden angeschaut hat.
»Hat es was mit Sid zu tun? Hast du ihr von Sid erzählt?«
»Nein!«
»Für dieses Mädchen musst du nichts erfinden«, sage ich. »Vielleicht macht sie schon mit Jungs rum, aber das heißt nicht, dass du sie nachahmen sollst.« Wahrscheinlich ist es von jetzt an meine einzige Aufgabe im Leben, aufzupassen, dass Scottie nicht so wird wie Reina, denn ich weiß, das Potenzial schlummert in ihr und wartet nur darauf, an die Oberfläche zu kommen.
»Ich hab ihr nur gesagt, dass Sid mein Freund ist, damit sie aufhört, mich zu nerven«, sagt Scottie.
»Du bist so was von bekloppt«, sagt Alex.
»Ist doch egal. Er hat mir gesagt, er ist nicht dein Freund. Wahrscheinlich fingerfickt er tausend Mädchen.«
»Scottie!«, brülle ich.
Alex ist beleidigt. »Na, und wenn! Wir sind nicht zusammen.«
Sid macht den Mund auf, um etwas zu sagen, aber dann schüttelt er nur den Kopf. Ich schaue zu Joanie,
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