Mit deinen Augen
der ich Bescheid sagen muss.
Ich habe sie eine Weile munter miteinander plaudern lassen, aber jetzt ist die Zeit gekommen. Ich bin so weit. Ich trete ans Kopfende des Tisches, damit ich alle sehen kann. Ich räuspere mich. Ich muss es nur sagen, es irgendwie über die Lippen kriegen, dann kann ich mich wieder zurückziehen.
»Hört mal alle zu«, rufe ich. »Ich weiß, ihr habt euch alle heute Abend nach Joanie erkundigt, und ich habe immer ausweichend geantwortet, aber ich möchte euch sagen, dass Joanies Koma irreversibel ist. Demnächst werden sämtliche lebenserhaltenden Maßnahmen abgebrochen. Sie wird es nicht schaffen.«
Buzz lacht über irgendetwas, was Connie gesagt hat, und Lara flüstert ihm etwas ins Ohr. Er wird sofort ernst.
»Es tut mir leid, dass ihr es auf diese Weise erfahren müsst. Aber ich wollte es euch persönlich sagen. Ihr seid unsere Freunde, unsere besten Freunde. Ich bin euch dankbar für alles, was ihr für uns getan habt. Ach, verdammt.« Meine Kehle brennt, meine Augen werden feucht. So wollte ich das nicht. Ich habe eine gute Rede vorbereitet. Ich habe sie eingeübt, und beim Üben ist mir das nicht passiert. Alle sehen mich an. Die Frauen kommen auf mich zu. Ich umarme sie, eine nach der anderen, Lara, Kelly, Connie und Meg. Ihr Parfüm steigt mir in die Nase, und meine Tränen tropfen in ihre Frisuren.
»Bist du sicher?«, fragt Connie. »Bist du ganz sicher?«
»Ja.«
»Dürfen wir sie besuchen?«, will Lara wissen.
»Ja«, sage ich. »Bitte, besucht sie. Jetzt oder morgen früh oder wann immer ihr Zeit habt. Das wollte ich euch sagen. Deswegen seid ihr hier.«
»Was ist mit Kai?«, fragt Lara.
»Ihr habe ich es schon gesagt.«
Russell und Tom kommen auf mich zu. Russell tut mir leid, er lächelt dümmlich, als er die Arme ausbreitet. So reagiere ich auch, wenn jemand schlechte Nachrichten überbringt. Ich kann nicht anders - ich grinse blöd. Russell schlägt mir kräftig auf den Rücken, und mein Kinn gräbt sich in seine Schulter.
»Haben es zwei Ärzte unabhängig voneinander diagnostiziert?«, fragt Orson. Er ist auf Zivilrecht spezialisiert und hat sehr viele weibliche Klientinnen, die er als seinen »Klagekreis« bezeichnet. »Man braucht dafür nämlich das Urteil von zwei Spezialisten.«
Ich starre ihn an.
»Ja, natürlich«, sagt er. »Du weißt, was du tust.«
»Wie lang noch?«, fragt Kelly. »Wie geht es weiter?«
»Nicht mehr lange«, sage ich. »Mehr weiß ich nicht. Und es wäre schön, wenn ihr alle in den nächsten Tagen vorbeischauen könntet, damit die Mädchen sie danach noch ein bisschen für sich haben können. Aber kommt bitte nur, wenn ihr wirklich wollt. Fühlt euch nicht verpflichtet.«
Kellys neuer Freund wirkt erleichtert. Er versucht zu kaschieren, dass er trotz allem etwas futtert, während Kent Halfords Sohn, Kent junior, sich nicht die geringste Mühe gibt, seine Esslust zu verstecken. Er streicht sich Brie auf einen Cracker und schiebt ihn in den Mund. Mir gefällt es, dass er isst und einfach tut, wonach ihm der Sinn steht. So war er schon immer, glaube ich. Ich denke an die Zeit, als er noch neben uns wohnte. Einmal hat er mitten in der Nacht unseren Traktor geklaut und ist damit zu dem Aussichtspunkt an der H3 gefahren, um sich dort mit Freunden zu treffen. Auf dem Rückweg war er sturzbetrunken, und ich habe ihn erwischt, wie er mit dem Traktor in unserem Garten immer im Kreis herumfuhr. Ich gehe zu ihm und gebe auch etwas Käse auf einen Cracker. Ich weiß, sein Großvater, der ihm sehr nahestand, ist gerade gestorben. Entweder nimmt Kent diesen Tod als Freibrief dafür, richtig abzudrehen, oder er kriegt endlich die Kurve.
»Das ist beschissen«, sagt er.
»Finde ich auch«, sage ich.
»Ich mag Mrs. King. Sie ist immer so nett zu mir.«
»Sie mag dich auch.«
Er versinkt in Gedanken. Er ist viel anständiger als sein Vater. Mir gefällt es, wie er immer wieder versucht, mit den Karten, die das Schicksal ihm zugeteilt hat, möglichst gut zu spielen.
»Ich habe bei euch Bier aus dem Kühlschrank draußen geklaut«, sagt er. »Ziemlich oft sogar.«
»Ich weiß.«
Jetzt kommt Buzz zu uns. Er schüttelt den Kopf. »Ich kann’s nicht fassen. Dieser Troy, die miese Ratte.«
»Sag das nicht.« Ich schaue mich nach den anderen Gästen um: Connie und Kelly stehen dicht beieinander und reden über Joanie und über mich. Kellys Freund und Megs neuer Ehemann Kula stehen mit ihren Cocktails auf dem Rasen und betrachten den Berg,
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