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Mit dem Kühlschrank durch Irland

Mit dem Kühlschrank durch Irland

Titel: Mit dem Kühlschrank durch Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Hawks
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Ich war mitten im Nirgendwo ohne Unterkunft, ohne Grund für mein Hiersein und ohne eine zündende Idee.
    Ich beschloss, meine Pläne zu vergessen, auszuspannen und mich der örtlichen Geschwindigkeit anzupassen. Ich stellte also meinen Rucksack und den Kühlschrank vor der Eingangstür ab und machte mich auf den zwanzigminütigen Marsch zum Pub. Wenn die Besitzer des Bunbeg House »bald zurück« waren, würden sie den Kühlschrank sehen und keinen Zweifel haben, welcher zusätzliche Gast sie heute Nacht erwartete. Als Visitenkarte war er zwar effektiv, aber auch ein bisschen sperrig.
    Auf dem Weg zurück kam ich an meinen beiden Malerinnen vorbei, und die Jüngere rief: »Wo ist Ihr Kühlschrank?«, worauf ich zu ihnen hinüberging und es ihnen erläuterte. Selbstverständlich wollten sie dann noch mehr darüber wissen, weshalb ich einen Kühlschrank bei mir hatte. Es kam mir in der Tat so vor, als hätten sie während der vergangenen zehn Minuten über kaum etwas anderes gesprochen. Ich versuchte, die Erklärung knapp zu halten, aber sie löcherten mich mit Fragen. Bevor es uns bewusst wurde, hatten wir schon eine halbe Stunde geplaudert.
    Beide Frauen erweckten den Eindruck gepflegter Verwahrlosung, die meiner Meinung nach das Kennzeichen von Künstlern ist. Lois war eine vornehme Dame reiferen Alters, die, wie ich zu meiner Überraschung erfuhr, in New Yorks 57ster Straße eine Galerie hatte. Mir wurde klar, dass sie eine ziemlich angesehene Künstlerin sein musste, denn ich wusste, dass man eine Galerie nicht automatisch bei Verlassen der Kunstakademie kriegt. Die viel jüngere Elizabeth war verheiratet und wohnte in New York, obwohl sie ursprünglich aus West Cork stammte. Ich vermutete, dass sie weniger erfolgreich und Lois’ Schützling war, vielleicht ein zukünftiger Star. Ich erfuhr, dass es während der letzten zwei Tage wie aus Kübeln gegossen hatte und dass die Damen beschlossen hatten, eine Scheune zu zeichnen, die sie am Ende eines Schlammwegs zwischen ein paar Feldern entdeckt hatten. Sie saßen mit ihren Blöcken auf dem Schoß im Auto und zeichneten die Scheune, als sie im Rückspiegel einen alten Bauern entdeckten, der völlig reglos dastand und sie aus der Ferne beobachtete. Ihm muss es so vorgekommen sein, als hätten die beiden Frauen im Auto gesessen und die Scheune angestarrt. Elizabeth und Lois erzählten, dass er ungefähr alle zwei Stunden zurückgekommen sei, um nachzusehen, ob sie immer noch da waren — die Frauen, die seine Scheune anstarrten. Der fortdauernde Regen am nächsten Tag bedeutete, dass sie wiederkamen, um ihre Zeichnungen zu vollenden. Der Bauer wurde durch die Entscheidung der Frauen, noch einen Tag des Starrens einzulegen, weiter verwirrt. Wer sind sie? Und warum starren sie meine Scheune an? Das waren naheliegende Fragen, die er aber lieber nicht stellte. Stattdessen baute er in einem Intervall von zwei Stunden stattfindende Visiten bei den Damen in sein Tagesprogramm ein. Er fand nie heraus, warum diese beiden Frauen aus dem Nichts bei ihm aufgetaucht waren, um in einem geparkten Auto seine Scheune anzustarren, und ich vermute, er hat mit niemandem darüber gesprochen. Darin liegt der Unterschied zwischen alten Bauern aus Donegal und... na ja, allen anderen.
    Im Verlauf dieses Gesprächs musste ihnen klar geworden sein, dass ich keinen Schimmer von der näheren Umgebung hatte, denn Elizabeth und Lois erklärten, sie würden ihre Malerei für heute abbrechen, um eine Sightseeing-Tour für mich zu veranstalten. Irgendwas an einem Reisenden mit Kühlschrank bringt eindeutig das Beste in den Menschen zum Vorschein.
    Elizabeth, die das Fahren übernahm, verwies auf eine Broschüre über Lois’ Werk auf dem Rücksitz, die ich schnell durchblätterte. Die Bilder waren ausgezeichnet, und ich tadelte mich, weil ich ihre Arbeit anfangs nach einem flüchtigen Blick abgetan hatte. Daran sieht man mal wieder, dass man nie eine Arbeit, die noch im Entstehen begriffen ist, beurteilen sollte. Ich wollte beschreiben, was mir an ihrem Stil gefiel, konnte es aber nicht. Daher warf ich einen Blick auf den Text der Broschüre, um zu sehen, ob deren Verfasser mehr zustande gebracht hatte: »Lois’ Kunst passt wegen ihrer Beschäftigung mit dem Realismus-Problem in die weitere Diskussion über die Privilegierung der Abstraktion und deren Legitimität in einer Welt des Konflikts.«
    Genau das hatte ich mir auch gedacht, selbst wenn ich mich vermutlich nicht so ausgedrückt hätte.

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