Mit den scharfen Waffen einer Frau
war zu vieles unausgesprochen geblieben, es gab zu viele Geheimnisse. Wenn Daisy die Wahrheit erfuhr, würde sie ihm nie wieder ihr fröhliches Lächeln schenken. Und er würde ihren warmen Körper in der Nacht nie mehr neben sich spüren.
Um sie zu schützen, musste er sein Geheimnis für sich behalten. Aber ging es ihm eigentlich nicht viel mehr darum, sich zu schützen? Um das, was er mit ihr erleben durfte, nicht zu verlieren?
Es hätte niemals so weit kommen dürfen, dachte er. Es war ein Fehler, das hatte er schon früh gewusst. Verdammt noch mal, von Anfang an war ihm klar gewesen, dass die Sache schieflaufen würde. Aber Daisy Saxon war wie eine Naturgewalt! Sie war einfach nicht zu stoppen, war einfach unwiderstehlich gewesen. Es wäre unsinnig, die gemeinsame Zeit mit ihr zu bedauern. Auch wenn Jericho wusste, die Erinnerung daran würde ihn noch in den nächsten Jahren verfolgen – wenn Daisy schon lange fort war.
Was für ein Mistkerl war er eigentlich? Obwohl ihm alles glasklar war, ging er immer noch jede Nacht mit ihr ins Bett.
„Idiot“, murmelte er und verstaute einen Klappstuhl im Truck. „Immer schön Abstand halten, aber nachts bloß nicht auf dein Vergnügen verzichten.“
Warum sollte er sich denn auch verdammt noch mal zurückhalten? Warum sollte er einer begehrenswerten, hingebungsvollen Frau den Rücken kehren, wenn sie ihn genauso begehrte wie er sie?
Das schlechte Gewissen, das ihn plötzlich überfiel, ignorierte er einfach. Daisy war hier, weil sie es so gewollt hatte. Die Tatsache, dass sie so gut wie nichts über die Todesumstände ihres Bruders wusste, änderte daran rein gar nichts. Er konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen, um die Ereignisse ungeschehen zu machen.
Ihn belastete, dass er Daisy nicht die ganze Geschichte erzählt hatte. Als sie ihn nach ihrem Bruder gefragt hatte, hatte er ihr nur das Notwendigste mitgeteilt. Warum? Um sie zu schonen? Oder nur um ihren anklagenden Blick nicht ertragen zu müssen, wenn er in ihre bernsteinfarbenen Augen sah?
Macht das überhaupt einen Unterschied, fragte er sich. Wenn das Ergebnis dasselbe war, spielte der Grund wohl keine so große Rolle. Aber er, der so viel Wert auf Aufrichtigkeit legte, verschwieg es der Frau, die mittlerweile jeden seiner Gedanken beherrschte. Warum? Aus Sorge oder aus Selbstschutz?
Weil es zermürbend war, sich zum hundertsten Male diese Frage zu stellen, zwang Jericho sich, nicht mehr darüber nachzudenken. Er nahm sich vor, sein Schweigen nicht zu brechen. Daisy würde schon bald feststellen, dass er nicht der Richtige war. Und dann würde sie abreisen.
Moment – Daisy? Die Daisy, die nicht einmal wusste, was das Wort aufgeben überhaupt bedeutete? Wohl kaum!
Als er die Stimmen seiner Brüder hörte, schüttelte er den Kopf und seufzte. Er war nicht in der Stimmung, Justice und Jesse zu sehen, hatte aber keine Wahl. Sie kamen jedes Jahr vor Wintereinbruch für ein Wochenende nach King Mountain, um angeln zu gehen. Da es sich um ein privates Anwesen handelte, konnten sie nach Herzenslust Fische fangen. Auch wenn sie nie besonders erfolgreich waren, war es immer eine gute Gelegenheit, sich in Ruhe und unter Brüdern zu unterhalten.
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er sich auch darauf gefreut, denn während seiner Zeit beim Militär hatte Jericho für diese Ausflüge keine Zeit gehabt. Seit er hier lebte, genoss er die Treffen mit seiner Familie und wollte den Kontakt intensivieren.
Er musste zugeben, dass Daisy daran einen erheblichen Anteil hatte. Denn sie wurde nicht müde zu betonen, wie wichtig es war, eine Familie zu haben. Als sie gehört hatte, dass Jesse und Justice zu Besuch kommen würden, war sie bei der Aussicht, seine Brüder kennenzulernen, begeistert gewesen.
In ihrer Aufregung hatte sie prompt begonnen, Töpfe und Pfannen zu schwingen. Die Küche glich jetzt einem Schlaraffenland, mit allen erdenklichen Speisen und Süßigkeiten, die dort aufbewahrt wurden. Daisy hatte wirklich ihr Bestes gegeben, damit die King-Brüder sich wohlfühlten. Und jetzt scheuchte sie sie aus dem Haus, damit sie endlich aufbrachen.
Jericho waren die Blicke seiner Brüder nicht entgangen. Sie hatten Daisy von Kopf bis Fuß gemustert und sich ihr Urteil gebildet. Er konnte sich denken, was ihnen durch den Kopf ging. Nämlich, dass Jericho King endlich den Sprung ins kalte Wasser wagen würde. Aber er würde ihnen schon die Köpfe zurechtrücken.
„Sieh an“, sagte Justice, während er den Blick
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