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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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zusammengeklaubt haben, allerdings ohne ein Mal die Sonnenbrillen abzunehmen. Auf ihren Platz setzt sich eine Frau mit einem Baby vor dem Bauch, die versucht, sich bei voller Fahrt den Lidstrich nachzuziehen. Das muss schiefgehen und geht es auch – der Lidstrich verschmiert links bis zur Nase. Sie flucht, holt eine Stilleinlage aus ihrem Ausschnitt und wischt sich damit übers Gesicht, nicht ohne vorher dezent hineingespuckt zu haben.
    An der Osterstraße in Eimsbüttel kommt Bewegung in den Bus. Es ist die Einkaufsstraße des Ortsteils, der dem wesentlich größeren Bezirk seinen Namen gegeben hat. Zu ihm gehören auch die feineren Gebiete an der Alster, Harvestehude und Rotherbaum. Die Wohnungsmieten sind hier doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Auf der Osterstraße gibt es noch eine bunte Mischung von Geschäften: einen EDEKA mit einem riesigen goldenen Schokoladenosterhasen auf dem Dach, Seniorentreffs, ein Pfandbriefgeschäft (seit 1908), ein Karstadt-Kaufhaus, das mit ein paar Handgriffen zu einem Bunker umgebaut werden könnte, edle Designergeschäfte und teure Cafés, die Vesper – Zeit, Speis und Trank heißen. Aber es gibt auch noch das San Remo, das aussieht, wie sein Name vermuten lässt. Die Bebauung ist vielfältig: alte Townhouses, die wie übrig gebliebene Strandvillen aussehen, mehrgeschossige Gründerzeitbauten und Nachkriegseinerlei. An der Haltestelle Schulweg kommt die Sonne heraus; am Kaiser-Friedrich-Ufer sitzen die Ersten schon auf dem schmalen Grünstreifen. Hier liegt das Kaifu-Bad, Hamburgs ältestes Bad, das seit über hundert Jahren existiert und auch im Winter seinen Außenpool öffnet. Es soll Menschen geben, die allein dafür von weit her nach Hamburg kommen. Der Bus unterquert die Hochbahn und gelangt in ein Viertel aus roten Backsteinen, eine Beamtenwohnungsbauästhetik, die drei Haltestellen weit reicht. Lesen, reden, schlafen, auf dem Smartphone tippen – das sind die Dinge, die im Bus auch im Stehen absolviert werden. Eine junge Pakistani sucht per Telefon eine Schule, an der sie ihr Deutsch verbessern kann. In der letzten Reihe kuschelt ein türkisches Paar.
    Der Platz an der U-Bahnstation Schlump ist eine zu groß geratene Kreuzung mit mehreren Bushaltestellen. Eigentlich ist es die Bezeichnung für einen ganzen Ortsteil, der im Süden an den Sternschanzenpark grenzt. Hinter der Schanze sieht man einen Fernseh- und einen Wasserturm, der bewohnt ist. Liefe man da weiter, käme man bis St. Pauli. Um den U-Bahnhof herum haben sich Imbisse eingerichtet, der Süßholzduft von einem Süßigkeitenstand zieht bis in den Bus hinein, und auf der anderen Seite des gläsernen Empfangsgebäudes, auf dem Mittelstreifen der Gustav-Falke-Straße, gibt es einen Markt für diejenigen, bei denen das Geld für Bioprodukte reicht. Es sind meist Ältere, die von den Händlern mit Namen angesprochen werden, so laut, dass man es noch im Bus hört. »So, Frau Schrader, war das alles?« Ein Mann redet beim Aussteigen über das schnelle Geld, das schlechte Berater machen wollen. Er ist sehr aufgebracht und stolpert über seine Füße. »Das ist so’n hässlicher Schönling«, sagt eine Frau zu einer anderen, die hinter ihr den Bus betritt und eine Fahrkarte löst.
    Als der MetroBus 4 noch der Bus 182 war, verkehrte er zwischen den U-Bahnhöfen Schlump und Sternschanze, nahm also den Weg in die Szene hinein. Jetzt biegt er vor dem Kiez in einer scharfen Linkskurve in die Bundesstraße ein, wo die Häuser schicker sind und an teure Bäderarchitektur erinnern. Am Grindelhof hängt eine Annonce am Lichtmast: »Weltmeister im Chinesischsprechen bietet Sprachkurse für Kinder zwischen 4 und 5 Jahren an.« Weltmeister im Chinesischsprechen? – das klingt irgendwie nach Hochstapelei. Hinter der Universität kommt die Durchsage, dass der Gänsemarkt wegen Bauarbeiten auf der Dammtorstraße nicht angefahren werde. Der Busfahrer ist freundlich und lässt eine alte Frau, die nicht rechtzeitig vor der Umleitung ausgestiegen ist, unvorschriftsmäßig aus dem Bus. Auf der Außenalster treiben die Segelboote, und am Ufer der Binnenalster spazieren so viele Leute, dass es schon als Demonstration für den Frühling durchgehen könnte. Ein roter Regionalzug kommt den Eisenbahndamm entlang zwischen den Gewässern in Richtung Hauptbahnhof. Seine Fenster blitzen in der Sonne. Die 4 biegt, nachdem sie den Jungfernstieg hinter sich gelassen hat, in eine sehr schmale Straße vor dem Rathausmarkt ein. Endhaltestelle.

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