Mit der Zeit
Ende ist.«
»Hätten Sie gern was zu trinken?«
»Nicht, wenn Sie erst etwas kommen lassen müssen. Lassen Sie mich einfach berichten, wie es zwischen uns und Zander steht.« Er unterbrach sich, um die Zigarre anzuzünden und wohl auch um sich darüber klarzuwerden, wie er vorgehen sollte, damit das, was er zu sagen hatte, möglichst sachlich und harmlos klang. Schließlich deutete er mit der Zigarre auf die Papiere, die Pacioli mir gegeben hatte. »Fangen wir damit an«, sagte er, »mit den – fachmännischen und weniger fachmännischen – Meinungen über das Netschajew-Manuskript. Für Zander erfüllte es mehrere Zwecke. Es stützte die zu seiner Tarnung erfundene Geschichte, derzufolge er ein grundlegendes Werk über das Thema Terrorismus schreibt. Es gab Syncom-Sentinel und Mr. McGuire etwas Konkretes in die Hand, das zudem einen wissenschaftlichen Anstrich hatte, so daß man damit Sie auf dem Umweg über Ihre Agentin ködern konnte. Am wichtigsten aber war, daß es ihm die Möglichkeit verschaffte, der Regierung der Vereinigten Staaten einen langen, komplizierten und höchst geheimen Vorschlag zu unterbreiten, ohne daß die Kanäle des Außenministeriums benutzt werden mußten und ohne daß derjenige, der den Vorschlag machte, sich kompromittierte.«
»Dann ist also das Manuskript eindeutig sowohl frei erfunden als auch gefälscht?«
»Teile davon sind sicherlich frei erfunden. Teile davon sind sicherlich gefälscht. Ob aber der ganze Text frei erfunden und gefälscht ist oder nicht, das steht auf einem anderen Blatt. Papier und Tinten und auch die Schriftarten stimmen mit denen überein, die in der Zeit üblich waren, aus der das Manuskript angeblich stammt. Paciolis Museumsfreunde und ihre Laborbefunde ließen daran von Anfang an keinen Zweifel. Aber das gilt auch für die Teile, die mit Sicherheit frei erfunden sind. Man muß wahrscheinlich davon ausgehen, daß Vorsatzblätter aus alten Büchern als Schreibpapier verwendet wurden. Das ist in solchen Fällen offenbar ein gebräuchlicher Trick. Aber die Verfasser und Fälscher waren keine Amateure. Zander stellte Leute an, die sich auf ihre Arbeit verstanden. Wenn man sich den Hauptteil des Textes ansieht, also, mir fällt da die Entscheidung schwer. Ich glaube, das könnte auch Ihnen so gehen, falls Sie je dazu kommen, ihn zu lesen.«
»Was ist daran schwierig?«
»Nun, es ist so entsetzlich langweilig. Gerade das macht es so echt, nehme ich an. Wenn es frei erfunden ist, ist es genial. Zumindest kam es mir so vor, aber ich bin natürlich in der Literatur nicht so beschlagen. Sie wissen wahrscheinlich, daß Dostojewski seinen Roman Die Dämonen in weiten Teilen auf Netschajews Leben und das bei seinem Mordprozeß vorgelegte Beweismaterial stützt. Der Nachahmer nun hat, nach Aussage des CIA-Experten, Dostojewski paraphrasiert, bei den Schriften Bakunins und Ogarjows Anleihen gemacht und das alles mit einer pseudoromantischen Liebesgeschichte vermischt. Der erste Experte ließ sich – wieder laut CIA – täuschen, weil er der bekannten Tatsache, daß Dostojewski von Netschajew fasziniert war, zuwenig Gewicht beimaß und andererseits die Tatsache überbewertete, daß einige Monate lang Bakunin und Netschajew zusammenarbeiteten. Bei einer gemeinsamen Autorenschaft kann man sich – und wer wüßte das besser als Sie – immer darüber streiten, wer nun eigentlich was geschrieben hat. Der zweite Experte war vorsichtiger. Er sagte zwar nicht, daß der Text frei erfunden sei, aber es war die Mischung, die ihn zweifeln ließ. Und so nannte er es eine zeitgenössische Nachahmung. Erst der CIA-Experte, der zur Überprüfung der Fotokopie Mr. McGuires hinzugezogen worden war, entdeckte den Anachronismus, der als Schlüssel zu dem gesamten Dokument angesehen werden muß. Es geht dabei um die sechs Passagen in der Fayet-Kurzschrift. Sie machen das Dokument innerhalb eines Dokuments aus, die versteckte Botschaft. Es sind die Abschnitte, die Sie nicht lesen konnten.«
»Sie sind in einer Art Code oder Chiffre gehalten?«
»Nein, sie sind auf Esperanto geschrieben. Diese spezielle Kurzschrift ist ideal zur Wiedergabe lateinischer Phonetik, und genau die verwendet das Esperanto. Ja, man kann sagen, Esperanto in einer alten französischen Kurzschrift ist tatsächlich ein Code, aber es ist ein Code, der leicht zu knacken ist.«
»Diese beiden ersten sogenannten Experten schafften es aber nicht.«
»Seien wir fair. Wenn ein Experte in russischen Manuskripten des
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