Mit der Zeit
er verträumt; »aber denk mal einen Augenblick an Judenburg. Kannst du dir irgendein anderes Land in Europa denken, das einen Ort so nennen würde und sich nie – nicht mal in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts – die Mühe machen würde, den Namen zu ändern?«
»Der Herrscher müßte dort sehr glücklich sein.«
»Worauf du dich verlassen kannst, meine Liebe. Er fängt sogar an, ihnen zu verzeihen, daß der Begründer des modernen Zionismus ein österreichischer Jude war.«
Ich beobachtete seine Augen im Rückspiegel, und er ertappte mich dabei. Die Augen blitzten. Wenn es ihm Spaß machte, sie auf den Arm zu nehmen, so genoß er es gleichermaßen, mich zu verwirren.
»Nein, Mr. Halliday«, sagte er, »ich bin kein Jude. Und ich gehöre auch keiner ethnischen Minderheit an. Nein. Für mich gibt es eine ganz besondere Art der Unerwünschtheit, eine ganz besondere Kategorie. Ich bin jedes Landes, jedes Volkes blutiger Ausländer.«
»Jedermanns blutiger Ausländer? Das hört sich an, als hätten Sie’s von Ihrem britischen Offiziersfreund gelernt, dem gebildeten Arabisten.«
»Natürlich habe ich das!« Die Augen strahlten triumphierend. »Und es war schon damals altmodisch. Das hat er mir selber gesagt. Aber mir gefällt es trotzdem, auch wenn Ihre Version vielleicht besser ist. Jedermanns blutiger Ausländer«, wiederholte er und brach dann in Gelächter aus.
Es war das erstemal, daß ich ihn laut und befreit über etwas lachen hörte, was ihn wirklich zu amüsieren schien. Doch es war ein seltsames Geräusch, mehr wie ein stilles Weinen.
Wir hatten mit Vielles Gruppe ausgemacht, sie in Feldkirch zu treffen, und sie waren bereits da, als wir ankamen. Der Kastenwagen war durch die Polizeifalle gewinkt worden, und sie hatten keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Die jungen Leute benahmen sich sehr umsichtig, und Vielle selbst hatte eine nützliche Entdeckung gemacht. In dem Kastenwagen gab es einen gut isolierten Schrank für Lebensmittel und Getränke. Mit Eis aus ihren Motelzimmern und einer flotten Einkaufstour in Feldkirch zur Überbrückung der Wartezeit, hatten wir Proviant genug, um für den Rest des Tages nicht mehr auf die Touristenfallen angewiesen zu sein. Um elf waren wir in Innsbruck. Von dort fuhren wir Richtung Kufstein, bevor wir uns auf den Weg nach Süden machten und die Berge und Tunnels in Angriff nahmen. Um fünf fuhren wir durch Villach, und eine Stunde später waren wir im Gasthaus Dr. Wohak.
Ich fand über Dr. Wohak nie etwas heraus, außer daß er tot war und daß er derjenige gewesen war, der eine Ansammlung von landwirtschaftlichen Gebäuden aus dem neunzehnten Jahrhundert zu einem attraktiven Hotel umgebaut hatte. Durch einen imposanten Eingang im Stil einer Tordurchfahrt kam man in einen zentralen Innenhof, hinter dem noch einmal zwei kleinere Hofräume lagen. Die Mauern waren aus Stein, einem grauen, aber sehr lebendig wirkenden Stein. Nach der Niedlichkeit Tirols war dieser ganze Gebäudekomplex wie eine wohltuende Erfrischung.
Der Mann am Empfang sprach englisch. Sobald ich auf meinem Zimmer war, rief ich nach unten und bat ihn, mir die Nummer in Velden zu geben. Dort meldete sich die Stimme einer Hoteltelefonistin.
»Herr Kurt Mesner?«
»Einen Augenblick, bitte.«
»Mesner.« Es war Schelm.
»Wir sind da.«
»Dann sollten wir ein bißchen plaudern, Sie und ich. Vielleicht gehen Sie mit mir essen? Wenn ich Ihnen, sagen wir, in einer Stunde einen Wagen schicke, ist das dann zu früh?«
»Nein, aber unser Freund meldet langsam Besitzansprüche auf mich an.«
»Das können wir auch. Sagen Sie ihm, der Chefunterhändler wolle Sie möglichst bald sehen, um Sie rechtzeitig vor dem Treffen identifizieren zu können. Er verlangte schließlich auch einen Namen und ein Gesicht zur Identifizierung. Nun verlangen wir eben das gleiche. Wenn er Schwierigkeiten macht, können Sie ihm das sagen.«
Wie sich dann herausstellte, brauchte ich Zander an dem Tag gar nichts mehr zu sagen. Ich machte mich frisch, zog mich um und dachte eben daran, runter in die Bar zu gehen, als jemand heftig an meine Tür klopfte. Es war Simone. Sie schob sich wortlos an mir vorbei und schloß hinter sich schnell die Tür ab.
»Wir haben Schwierigkeiten«, sagte sie, ein wenig außer Atem.
»Die Lokalpresse? Ich sagte Ihnen ja, die würden auftauchen.«
»Es ist nicht die Lokalpresse. Viel schlimmer. Es ist Funk und Fernsehen.«
»Schon?«
»Der Hoteldirektor hier ist scharf auf
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