Mit der Zeit
drehen, und ich sagte ihm auch, daß ihr innerhalb der Firma unwichtig seid.«
»Gut«, sagte er und wiederholte dann das Wort. »Gut.« Seinem Ton fehlte die Überzeugung. Es gefiel ihm gar nicht, als unwichtig dargestellt zu werden, selbst wenn es aus guten Sicherheitsgründen geschah. Er mußte wirklich, dachte ich, den Augenblick herbeisehnen, wo ein Gedankenaustausch über das Projekt in der Bucht von Abra ihn sowohl von seiner Vergangenheit als auch von der Aufmerksamkeit des Mukhabarat-Zentrums befreien würde.
An der österreichischen Grenze hatten wir keine Schwierigkeiten, aber einen Kilometer weiter, in dem Grenzort selbst, gerieten wir in eine Schwierigkeit ganz besonderer Art. Die Straße gabelte sich, und offenbar wurde rechter Hand auf der Hauptdurchgangsstraße die Straßendecke erneuert. An der Abzweigung zeigte ein kleines handgeschriebenes Schild eine Umleitung an, aber kein Pfeil gab an, in welcher Richtung man zu fahren hatte. Statt dessen hing unter dem Schild ein Stück Pappdeckel mit einer Skizze. Die sah aus, als stamme sie von einem vierjährigen Kind, das im Kindergarten mit Fingerfarben herumgespielt hatte. Offenbar wurde mitgeteilt, daß es zwei Möglichkeiten gab, durchzukommen – geradeaus oder über die Umleitung. Für die geradeaus führende Straße zeigte die Skizze ein Rechteck mit vier Rädern, für die Umleitungsstrecke ein Rechteck mit vier Rädern und ein Fahrrad. Wenn man also auf vier Rädern fuhr, so schien es, hatte man die Wahl, entweder geradeaus über die Furchen und losen Steine zu fahren oder aber die Reifen zu schonen und zusammen mit den Fahrrädern auf der ebeneren Straße die Stadt zu verlassen.
Die meisten fuhren geradeaus. Die Polizei lauerte gleich hinter der Kurve, etwa zweihundert Meter nach dieser handgefertigten ›Karte‹. Autos mit österreichischen Nummernschildern wurden zurückgeschickt und auf die Umleitung verwiesen. Geradeaus war nur für Lastwagen, so bekam man zu hören. Diejenigen unter uns, die ausländische Kennzeichen hatten, mußten am Rand der Straße in einer Schlange warten, während die Polizei von einem zum anderen ging und Bußgelder kassierte. Es schien für sie eine vertraute Routineangelegenheit. Während jeder Fahrer an den Straßenrand gewinkt wurde, brüllte der Polizist »Reisepaß« . Wenn er dann den Paß des Fahrers in der Hand hatte, brüllte er »Strafe einhundert Schilling« oder, da wir französische Kennzeichen hatten, »Amende de cent Schillings« und ging weg. Der Fahrer mußte seinen Paß mit hundert Schilling zurückkaufen. Einige – so auch Simone – wehrten sich mit dem Argument, das Schild sei irreführend, aber Widerrede führte nicht weiter. Sie hörten nicht hin. Ein holländischer Fahrer vor uns hatte kein österreichisches Geld und war gezwungen, einen Reisescheck einzulösen; er brauchte nur über die Straße zu gehen, denn genau gegenüber der Polizeifalle lag eine Wechselstube, und der Gauner, der sie betrieb, zahlte fünfundzwanzig Prozent unter dem üblichen Wechselkurs. Zum Glück hatten wir österreichisches Geld dabei.
»Zahl schon, Simone«, sagte Zander, »und laß uns weiterfahren. Sicher, es ist glatter Betrug, und so was funktioniert nur in einem Grenzort, wo immer ausländische Touristen durchkommen, die es eilig haben. Ist euch aufgefallen, daß hier weit und breit keine Arbeiter oder Maschinen zu sehen sind? Hochinteressant. Es stört die auch gar nicht, daß wir sie durchschauen. Denen ist es gleich, was wir von ihnen als Polizisten halten. Also laß uns zahlen und weiterfahren.«
Sie zahlte die hundert Schilling und erhielt zusammen mit ihrem Paß eine unterschriebene Quittung. Sie gab die Quittung an Zander weiter, der einen Blick drauf warf, amüsiert auflachte und sie mir nach hinten reichte. Oben drüber stand Organstrafverfügung , und es war eine offizielle, numerierte Quittung über zehn Schilling. Die Unterschrift war natürlich unleserlich.
»Willkommen im glücklichen Österreich«, knurrte Simone, während sie mit dem Lenkrad kämpfte, um den Kombi auf die Umleitungsstraße zurückzuzwingen.
»Wozu sich ärgern?« fragte Zander. »Sie haben dir eine amtliche Quittung gegeben. Und vergiß nicht, was du in Geschichte gelernt hast. Österreich war oft schon fast so antisemitisch wie Rußland.«
»Was hat denn Antisemitismus damit zu tun?«
»In den Augen dieser Polizisten sehen vielleicht alle Fremden jüdisch aus.«
»Patron, das ist doch Unsinn.«
»Vielleicht«, sagte
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