Mit dir an meiner Seite
mein Kopf wollte einfach keine Ruhe geben. Nicht nur wegen Dad.« Sie machte eine Pause. »Auch deinetwegen. Du gehst in zwei Tagen fort.«
»Ich habe doch schon gesagt, ich kann die Abreise verschieben. Wenn du willst, dass ich hierbleibe, dann bleibe ich ...«
Ronnie schüttelte den Kopf. »Nein. Für dich fängt jetzt ein neues Kapitel an, und das will ich dir nicht wegnehmen.«
»Aber ich muss noch nicht unbedingt fort. Die Vorlesungen fangen doch erst später an -«
»Du brauchst wirklich nicht zu bleiben.« Ihre Stimme war leise, aber bestimmt. »Du gehst aufs College - und das hier ist nicht dein Problem. Hört sich hart an, ist aber nicht böse gemeint. Steve ist mein Vater, nicht deiner. Ich will nicht auch noch daran denken müssen, was du alles meinetwegen aufgibst. Ich habe schon genug Baustellen in meinem Leben. Verstehst du?«
Sie hatte recht - auch wenn er es lieber anders gesehen hätte. Nach kurzem Zögern knotete er sein Makramee-Armband auf und reichte es ihr.
»Ich will, dass du es nimmst«, flüsterte er. Es war ihm wichtig, dass sie sein Geschenk annahm. Und er sah ihr an, dass sie es wusste.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie die Finger um das Armband schloss. Wollte sie noch etwas sagen? Doch genau in dem Augenblick wurde mit einem Knall die Tür der Werkstatt aufgerissen. Jonah schleppte einen kaputten Stuhl nach draußen, schleuderte ihn mit aller Kraft über die Düne und rannte zurück. Selbst aus der Ferne merkte man ihm an, wie aufgebracht er war.
»Jonah!«, rief Ronnie und stürzte los.
Will lief hinter ihr her und wäre an der Werkstatttür fast mit ihr zusammengestoßen. Jonah versuchte jetzt, eine schwere Kiste über den Boden zu schieben, und merkte gar nicht, dass er zwei Zuschauer hatte.
»Was machst du?«, rief Ronnie. »Seit wann bist du hier?«
Ihr kleiner Bruder ließ nicht von der Kiste ab und ächzte vor Anstrengung. »Jonah!«
Ronnies Ruf durchbrach endlich seine blinde Konzentration. Er blickte sich um und schien völlig überrascht, als er Ronnie und Will sah. »Ich komme nicht ran!«, rief er, empört und den Tränen nahe. »Ich bin nicht groß genug!«
»Wo kommst du nicht ran?«, fragte Ronnie. Doch dann erschrak sie. »Du blutest ja!«, rief sie voller Panik.
Jonahs Jeans war zerrissen, er blutete am Bein. Aber er gab nicht auf, sondern drückte wie ein Besessener gegen die Kiste, bis er eines der Regale rammte und der Eichhörnchenfisch auf ihn herunterfiel. Jetzt packte Ronnie ihren Bruder und hielt ihn fest.
»Geh weg!«, schrie er los. »Ich kann das selbst! Ich brauche dich nicht!« Er lief feuerrot an vor Wut.
Noch einmal wollte er sich auf die Kiste stürzen, aber diese hatte sich mit dem Regal verkantet. Ronnie versuchte ihm zu helfen, aber er schubste sie weg. Tränen liefen ihm übers Gesicht.
»Ich habe gesagt, geh weg!«, schrie er sie an. »Dad will, dass ich das Fenster fertig mache! Ich! Nicht du! Wir haben doch den ganzen Sommer daran gearbeitet ...« Er konnte kaum sprechen vor Verzweiflung, immer wieder musste er nach Luft schnappen. »Das haben wir gemacht, Dad und ich. Du hast dich immer nur um die Schildkröten gekümmert! Aber ich war den ganzen Tag bei ihm!«, stieß er hervor. Seine Stimme überschlug sich, die Tränen flössen ungehemmt.
»Und jetzt komme ich nicht an den Mittelteil von diesem Fenster ran! Ich bin zu klein! Aber ich muss es fertig machen, weil - vielleicht wird Dad wieder gesund, wenn ich's schaffe. Er muss wieder gesund werden! Erst habe ich es mit dem Stuhl versucht, aber der ist kaputtgegangen, und dann wollte ich die Kiste nehmen, aber die ist viel zu schwer -«
Plötzlich taumelte er rückwärts und fiel hin. Er blieb auf dem Boden sitzen, schlang die Arme um die Knie und schluchzte, am ganzen Körper zitternd.
Ronnie kauerte sich neben ihn und zog ihn zärtlich an sich, aber er konnte nicht aufhören zu weinen. Will hatte einen Kloß im Hals, weil er deutlich spürte, dass er nicht dazugehörte.
Trotzdem blieb er. Ronnie hielt ihren schluchzenden Bruder fest. Sie versuchte gar nicht, ihn zu beschwichtigen oder ihm zu versichern, dass alles wieder gut werde. Sie wartete einfach ab, bis die Tränen versiegten. Schließlich schaute er sie mit roten Augen an, sein Gesicht fleckig vom Weinen.
»Wollen wir kurz ins Haus gehen? Ich würde mir gern die Wunde an deinem Bein anschauen«, sagte sie leise.
»Und was ist mit dem Fenster?«, fragte Jonah mit zittriger Stimme. »Es muss doch fertig
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