Mit dir an meiner Seite
solch ein Gewicht bekommen? Warum war er bereit gewesen, seine Familie für Monate zu verlassen? Dieser Egoismus! Im Nachhinein konnte man sagen, dass es kein sehr weiser Entschluss gewesen war - für alle Betroffenen. Früher hatte er gedacht, dass seine Leidenschaft für die Musik ihn getrieben hatte, aber inzwischen vermutete er, dass er im Grunde nach Mitteln und Wegen gesucht hatte, um die abgrundtiefe Leere, die er manchmal in sich spürte, irgendwie zu füllen.
Und er fragte sich, ob er vielleicht dank dieser Erkenntnis eines Tages die Antwort finden konnte.
Kapitel 17
Ronnie
Als Ronnie aufwachte, schaute sie gleich auf den Wecker. Sie war erleichtert. Zum ersten Mal, seit sie hier war, hatte sie es geschafft auszuschlafen. Es war immer noch nicht besonders spät, aber als sie aus dem Bett kletterte, fühlte sie sich doch erfrischt. Sie hörte den Fernseher im Wohnzimmer. Jonah lag auf dem Sofa, sein Kopf hing nach unten, und er schaute fasziniert auf den Bildschirm. Sein Hals war voll mit Pop-Tart-Krümeln, und als er noch einmal zubiss, verstreute er jede Menge Brosamen über sich und auf den Teppich.
Ronnie wusste, es hatte wenig Sinn, ihn zu fragen, warum er so komisch dalag, aber sie konnte es nicht lassen.
»Was tust du da?«
»Ich sehe umgedreht fern«, sagte Jonah. Er schaute sich einen dieser nervigen japanischen Zeichentrickfilme an, bei denen alle Figuren riesige Augen hatten und die Ronnie nie so recht kapierte.
»Wieso?«
»Weil ich Lust dazu habe.«
Sie hätte nicht fragen sollen. Tja, zu spät. Ronnie warf einen Blick in die Küche. »Wo ist Dad?«
»Keine Ahnung.«
»Wann ist er weggegangen?«
»Keine Ahnung.«
»War er noch hier, als du aufgestanden bist?« »Ja, klar.« Er nahm nicht eine Sekunde lang den Blick vom Fernseher. »Wir haben über das Fenster geredet.« »Und dann ...« »Keine Ahnung.«
»Willst du damit sagen, er hat sich in Luft aufgelöst?«
»Nein. Ich will sagen, dass Pastor Harris vorbeigekommen ist, und die beiden sind rausgegangen, um sich zu unterhalten.« Er sagte das in einem Ton, als wäre es absolut selbstverständlich, dass jeder das wusste.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Ronnie machte eine genervte Handbewegung.
»Weil ich meine Sendung verkehrt herum sehen will, und es ist nicht leicht, mit dir zu reden, während mir das Blut in den Kopf strömt.«
Das war natürlich wie eine Einladung, etwas Freches zu entgegnen - zum Beispiel: Vielleicht solltest du öfter mit dem Kopf nach unten hier liegen -, aber Ronnie widerstand der Versuchung. Weil sie guter Laune war. Weil sie ausgeschlafen hatte. Und vor allem, weil in ihrem Inneren eine leise Stimme flüsterte: Kann sein, dass du heute nach Hause fährst. Schluss mit Blaze, Schluss mit Marcus und Ashley. Schluss mit dem frühen Aufwachen.
Schluss mit Will...
Bei dem Gedanken zögerte sie etwas. Alles in allem war Will gar nicht so übel. Der Tag gestern hatte ihr sogar richtig gut gefallen, jedenfalls bis kurz vor Schluss.
Sie hätte ihm sagen sollen, was Ashley behauptet hatte. Sie hätte ihm ihr Verhalten erklären müssen. Aber dann war Marcus aufgetaucht...
Neugierig zog sie die Vorhänge auf und spähte nach draußen. Ihr Vater und der Pastor standen in der Einfahrt. Sie hatte Pastor Harris seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen, aber er hatte sich kaum verändert. Zwar stützte er sich jetzt auf einen Stock, aber seine dichten weißen Haare und die buschigen weißen Augenbrauen waren ihr schon damals sehr eindrücklich gewesen. Ronnie lächelte, weil sie daran denken musste, wie nett er nach der Beerdigung ihres Großvaters gewesen war. Ja, sie verstand, warum Dad ihn so mochte. Er hatte etwas sehr Gütiges, und Ronnie wusste noch genau, wie er ihr nach der Trauerfeier ein Glas frische Limonade anbot, die süßer war als alle anderen Getränke. Die beiden Männer schienen mit einer dritten Person zu sprechen, die Ronnie allerdings nicht sehen konnte. Sie öffnete die Tür, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Ah, das Polizeiauto. Officer Pete Johnson stand daneben und war offensichtlich gerade dabei, sich zu verabschieden.
Ronnie hörte den Motor im Leerlauf brummen. Als sie die Verandastufen hinunterging, winkte Dad ihr zu. Officer Johnson schloss schon die Wagentür und fuhr rückwärts aus der Einfahrt. Ronnie wurde schwer ums Herz. Das sah nicht gut aus.
Sie ging zu Pastor Harris und zu Dad.
»Du bist ja schon aufgestanden«, sagte ihr Vater. »Ich
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