Mit dir in meinem Herzen: Roman (German Edition)
hielt. Er hob die Hand, um erkennen zu können, was es war. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen. Es gelang ihm, den Gegenstand zu fixieren, und er erkannte den Schwangerschaftstest, den er aus dem Regal genommen hatte. Belinda! Sie weiß nicht mal, dass sie schwanger ist. Andy beschlich das merkwürdige Gefühl, keine Gelegenheit mehr zu haben, es ihr zu sagen. Seine Lippen gehorchten ihm nicht mehr. Sein Mund schien voller Kieselsteine zu sein.
Die junge Mutter beugte sich über ihn. Ihr langes, glänzendes blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, der ihr jetzt über eine Schulter fiel. Eine Haarsträhne klebte an ihrer schweißnassen Stirn. Ihre Wangen waren gerötet, und ein blutiger Striemen, in den sich Wimperntusche mischte, führte von einer hässlichen Platzwunde über der Wange zu ihrer linken Braue. Sie rief ihm dicht über seinem Gesicht etwas zu, doch er konnte sie nicht hören, sah nur, wie sich ihre Lippen bewegten. Ich kann nicht von den Lippen ablesen , sagte er ihr. Sie müssen schon lauter reden . Dann merkte er, dass er gar nichts gesagt, es nur gedacht hatte.
Er sah die mit Tränen gefüllten Augen der jungen Mutter und versuchte ihren Ausdruck zu deuten. Angst? Nein. Panik? Auch nicht. Das war es nicht.
Tod .
Er sah den Tod in ihren Augen. Oh, nein! Sie stirbt? Aber sie ist so hübsch, so schön. So eine zauberhafte junge Frau! Nein, auch das war falsch.
Er sah nicht ihren Tod. Es war eine Spiegelung. Sein Spiegelbild. Sein Tod.
Richtig.
Das ist es also. Der letzte Vorhang für den guten alten Ando. Tut mir leid, Leute, keine Zugabe heute .
Eine weitere Stimme drang in sein Unterbewusstsein. Eine ruhige, vernünftige Stimme. Eigentlich eine ätzende, irritierende Stimme.
»Ja, Andy. Das ist wirklich das Ende.«
Ach, tatsächlich? Und wer zum Teufel bist du, der das behauptet?
Er fühlte, wie sie ihn überkamen, die Emotionen: Angst, Verzweiflung und ein überwältigendes Gefühl der Trauer. »Tut mir leid, Andy, aber du hast nicht mehr lange. Das ist das Ende. Das sind deine letzten Augenblicke. Zeit, Adieu zu sagen.« Die Stimme wurde deutlicher, kräftiger, und er merkte, dass es seine Stimme war, die er hörte und die ihn bis zum Ende begleitete.
Ich schaffe es nicht. Ich werde wirklich sterben.
Er musste seine Stimme wiederfinden, Belle Adieu sagen. Musste ihr sagen, dass er sie liebte. Ihr sagen, dass er wisse, dass sie schwanger sei und dass für sie alles gut werde. Dass sie es auch allein schaffen könne.
Er hob das Handy auf Augenhöhe, sodass er die Nummer eintippen konnte. Dann wurde klar, dass er nicht würde sprechen können. Eine warme, dicke Flüssigkeit rann aus seinem Mundwinkel und über die Wange. Er brachte kein Wort mehr heraus.
SMS . Ich muss ihr eine Textmitteilung schicken.
Schön und gut, aber wie konnte er in wenigen Worten ausdrücken, was er ihr sagen musste? Und was, wenn er sich irrte? Was, wenn sie nicht mal schwanger war?Was, wenn seine letzten Worte an Belle nicht der Wahrheit entsprachen? Was er sicher wusste, war nur, dass ihre Periode lange überfällig war.
Er drückte auf die Taste für Kurznachrichten, gab Belles Nummer ein und schrieb eine Blitz- SMS . Und plötzlich hatte er einen Augenblick von großer Klarheit. Er wusste, es war endgültig vorbei. Das war das Ende. Er hatte nur noch Sekunden, keine Zeit, alles zu erklären – kaum die Zeit, drei Worte einzugeben.
Du bist überfällig.
Dann wurde es dunkel um ihn.
Er glaubte, seine Mutter über ihn gebeugt und lächeln zu sehen, Tränen in ihren Augen. Aber vielleicht bildete er sich das nur ein.
Dann entglitt ihm die Welt, er verlor den Halt, und dann ertönte eine neue Stimme. Eine warme, herzliche Stimme, begleitet von sonorem Lachen, das aus dem Bauch zu kommen schien. Es war das Lachen reinster Freude. Gab ihm das Gefühl, dass jemand so beglückt war, ihn zu sehen, dass er vor Glück nur lachen konnte.
Er sah die Sonne auf dem Wasser glitzern und hörte das Zischen einer Angelschnur, die durch die Luft sauste. Er fühlte eine starke, vertraute Hand auf seiner Schulter.
»Hallo, mein Sohn!«
VIERTER TEIL
Im Zielsprung
14
Belinda
»Andrew ist tot«, flüsterte Stacey Belinda mit gereizter Stimme ins Ohr.
Belinda versuchte sich umzudrehen, ihre stets so direkte Freundin anzusehen, hatte jedoch Mühe, ihre Lage auf dem Fußboden zu verändern. Sie lag mit gerade ausgestreckten Beinen auf dem Rücken, ein Kissen unter dem Steißbein. Sie fühlte sich
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