Mit einem Bein im Modelbusiness
vorher zu den Castings kommst.«
» Aha!?«
» Also, wir würden dich gerne hier haben.«
» Ja, aber Carla«, fiel ich ihr fast schon ins Wort. » Das ist alles nicht so einfach. Ich habe das Geld nicht dafür. Du kennst doch das Spiel. Ich müsste wieder alles selbst finanzieren: Essen, Miete, Taxi, Flug …«
» Ich weiß, Mario.«
Du weißt gar nichts, dachte ich, während ich sie mit meinem Röntgenblick ansah. Du sitzt den lieben langen Tag hier in deinem schicken Büro, gehst am Ende des Monats mit deinem Gehalt nach Hause und musst dir über deine Rechnungen keine Sorgen machen. Ich lebe aber ein anderes Leben als du. Bei mir gibt es keine Sicherheiten!
» Geld ist doch gar kein Problem, Mario«, lachte sie wieder. » Liegt es nur daran?«
» Ähm, ja. Ich denke schon.«
» Mach dir darüber keine Sorgen. Da finden wir eine Lösung. Wir kümmern uns schon um dich. Dafür sind wir ja da.«
Ach, wirklich? Ist das so? Am liebsten hätte ich sie daran erinnert, dass sie mich vor gar nicht allzu langer Zeit nicht mal mit ihrem hübschen Hintern angeguckt hat. Und jetzt, da ich ein paar Jobs an Land gezogen und Kohle in die Agentur gebracht habe, Kunden sogar gezielt nach mir fragen, ist das alles Schnee von gestern, oder was? Was passiert denn, wenn ich zurückkomme und mich niemand bucht? Bist du dann immer noch so freundlich zu mir und behauptest, dass Geld keine Rolle spielen würde?
» Wenn du Taschengeld oder sonst irgendwas brauchst, dann kommst du einfach zu mir«, fügte Carla, immer noch lächelnd, hinzu. » Du kommst doch, oder?«
Tja, in solchen Situationen stehst du da und weißt nicht so recht, was du sagen sollst. Ich meine, du findest diese Person wegen ihrer freundlichen Worte natürlich nicht netter als vorher, trotzdem gefällt dir das gute Gefühl, das sie dir dadurch vermittelt – auch wenn es nicht wirklich ehrlich ist. Ihre gespielte Freundlichkeit war ja nichts anderes als ein Resultat meines Erfolgs, aber das musst du in dem Moment erst mal realisieren. Als junges und unerfahrenes Model ist es verdammt verführerisch, sich davon blenden zu lassen, weil man sich plötzlich wie ein Star fühlt. Wem gefiele das nicht?
Bevor ich nach Mailand gegangen bin, habe ich tagelang im Internet nach einer Art Model-Guide gesucht, in dem genau solche Tipps und Tricks stehen, aber nichts gefunden. Ohne die Hilfe von Peter, Eddie oder den Jungs aus der WG wäre ich in gewissen Situationen echt aufgeschmissen gewesen. Was aber, wenn du niemanden aus der Branche kennst, der dir, wenn es darauf ankommt, die Augen öffnet?
Ich kann mich noch gut an einen Abend im Juli 2010 während der Berlin Fashion Week erinnern. Wir waren mit drei Frischlingen unterwegs, die uns bei jedem Drink ihren coolen neuen Model-Lifestyle unter die Nase rieben. Mir war das schon fast ein bisschen peinlich, weil die Jungs so naiv waren und viel zu übertrieben auf dicke Hose machten: » Wir haben ein geiles Hotel – bäämm! – werden im Auto zu allen Castings kutschiert – bäämm! – bekommen alles organisiert – bäämm! – big pimpin’, und zwar – bäämm! – vom Allerfeinsten. Mario, wo bist du abgestiegen?«
» Ich?«, grinste ich nur und gab Hakan einen Klaps auf die Schulter. » Ich penne bei meinem Kumpel hier. Sofa-Style!«
» Wirklich?«, fragte eines der Models überrascht. » Wieso kein Hotel, wenn die Agentur doch alles übernimmt?«
» Ach, tut sie das, ja?«
Ich schaute in drei irritierte Gesichter.
» Wisst ihr was? Das kostet euch alles derbe viel Geld. Ich würde mir lieber einen Homie suchen, bei dem ihr unterkommen könnt. Was kostet das Hotel am Tag – 200 Euro? Dazu das Honorar für den Fahrer, die Mietgebühr für das Auto, Benzin, selbst für die Erdnüsse aus der Minibar werdet ihr eines Tages blechen müssen. Sobald der erste Kunde für euch bezahlt, wird euch jeder noch so kleine Posten mit Zins und Zinseszins in Rechnung gestellt. Ich möchte euch ja nicht die gute Laune verderben, aber ohne es zu wissen, geht ihr hier jeden Tag mit 300 Euro Miesen raus. Ist doch klar, dass die Agentur euch das nicht sagt. Sie wollen ja mit euch Geld verdienen.«
Die Jungs schauten aus der Röhre, als hätte ich gerade einen süßen Hundewelpen aus dem Fenster geworfen. Es ist eben so, dass wir die Dinge oft nicht sehen, wie sie sind, sondern wie wir sie gerne hätten.
In meiner Anfangszeit war ich genauso blauäugig wie sie gewesen. Und wer weiß, wie sich meine Karriere entwickelt hätte,
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