daran macht ihr Angst, als würde sie Gefahr laufen, es könnte sich wie ein Traum in Luft auflösen, wenn sie es nicht ausreichend würdigt.
Sie tut ganz lässig ( nonchalant , schreibt sie in Gedanken an Madison), als hätte sie diese Art Luxus schon Millionen Male gesehen, obwohl sie in Wahrheit kaum den Blick von den Bergen in der Ferne lösen kann. Ihr Anblick hat so etwas Beruhigendes. Und als Lily sie fragt, ob sie vielleicht hier übernachten will, kostet es sie gewaltige Überwindung, zu antworten: »Nein, danke. Ich muss nach Hause und mich um meinen Hund kümmern.«
»Ach, das macht doch Ramona, Schatz. Wir rufen sie einfach an und fragen sie. Wenn du hierbleiben willst, geht das völlig in Ordnung.«
Trotzdem beschließt sie, nach dem Essen lieber zurückzugehen. Aber wenigstens kann sie hier jederzeit an den Computer gehen und im Internet surfen. Sie schreibt eine Mail an Madison, in der sie ihr von ihrem Wahnsinnstag erzählt, ehe sie nach einem kurzen Blick über die Schulter ein weiteres Mailfenster öffnet.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Betreff: Wollte nur mal Hallo sagen
Hi, Mom,
eigentlich wollte ich nur sehen, ob du meine Mail bekommen hast. Mir geht’s sehr gut hier, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. Sofias Oma ist supernett und hat mir heute gezeigt, wie man Blumen einpflanzt. Trotzdem fehlst du mir SEHR .
Nachdenklich kaut sie auf ihrer Lippe herum. Was soll sie ihrer Mutter sonst noch schreiben? Wahrscheinlich fühlt sie sich gerade ziemlich mies. Katie hat schon einmal einen Meth-Entzug miterlebt – sogar dreimal, ehrlich gesagt. Einmal war ihre Mom nur ein paar Wochen clean geblieben, beim nächsten Mal sogar ein ganzes Jahr. Damals hatte Katie bei Sofia und ihrem Vater gewohnt. Eigentlich war es nicht so übel gewesen, trotzdem war sie sich ihrer Mutter gegenüber wie eine Verräterin vorgekommen. Als Lacey es geschafft hatte, ein ganzes Jahr lang drogenfrei zu leben, und Oscars neuer Einsatzbefehl gekommen war, hatte er Katie zu ihrer Mutter zurückgeschickt, allerdings unter der Bedingung, dass sie ihm sofort Bescheid gab, wenn Lacey rückfällig wurde.
Denk an etwas anderes , sagt sie sich. Sie schreibt weiter:
Ich weiß, dass es dir wahrscheinlich im Moment nicht besonders gut geht, aber denk daran: Du schaffst es! Du hast auch vorher schon mal entzogen, und hinterher hat es sich super angefühlt, weißt du noch? Wenn du erst mal aus der Klinik draußen bist, kann ich wieder zu dir ziehen. Ich hab dich lieb! SEHR ! SEHR ! SEHR !
Deine Tochter Katie
PS : Dad ist in Afghanistan schwer verwundet worden. Wahrscheinlich hat es dir niemand erzählt, aber ich fand, du solltest es wissen.
Eigentlich würde sie gern noch mehr schreiben, ihrer Mutter ihre Angst anvertrauen – nicht so sehr davor, dass er sterben könnte, sondern eher vor seinem Anblick; davor, wie sein Gesicht aussehen könnte – die Nase verformt, die Haut so seltsam rosa und weiß und ledrig-straff. Allein bei der Vorstellung, er könnte für immer so aussehen, wird ihr ganz anders.
Gleichzeitig kommt sie sich wie der schlechteste Mensch der Welt vor. Weil ihre Angst, einen Vater mit einem völlig ruinierten Gesicht zu haben, größer ist als die, dass er sterben könnte.
Aus der Küche dringen Stimmen herauf. Die eines Mannes und einer Frau. Eilig schickt sie die Mail ab. Lily ruft nach ihr. »Katie, mein Mann und meine Töchter haben einen leckeren Pfirsichkuchen vorbeigebracht. Komm doch runter, dann schneide ich dir auch ein Stück ab.«
»Ich komme gleich.«
Sie fährt den Computer herunter und geht die breite, geschwungene Holztreppe hinunter, von der aus sich ebenfalls ein Ausblick auf die Berge und die Pinien im Garten bietet. Sie kommt sich wie in einem Film vor. Instinktiv drückt sie die Wirbelsäule durch und stellt sich vor, sie wäre Taylor Swift, die in ihrem Traumhaus die Treppe hinunterschreitet. Sie ist so in ihre Fantasie versunken, dass sie im ersten Moment die Frau nicht bemerkt, die unten um die Ecke biegt. Sie hat glattes blondes Haar, das ihr bis auf die Schultern reicht, und einen schnurgeraden Pony. Katie weiß sofort, wer sie ist – Ramonas Schwester. Die beiden haben genau dieselben Augen. »Hi, Katie«, sagt sie und streckt ihr die Hand hin, als wäre Katie eine erwachsene Frau. »Ich bin Stephanie, Sofias Tante. Und das«, fährt sie fort und dreht sich zu der Frau hinter ihr um, die ebenfalls blond ist und dieselben riesigen blauen