Mit Familienanschluß
Schultern. »Bei unserem Vater ist das allerhand. Großjährigkeit heißt bei ihm nämlich noch lange nicht erwachsen sein. Aber man gewöhnt sich daran. Paps ist schon stiller geworden, nachdem wir ihm anhand des Familienstammbuches bewiesen haben, daß unsere Großmutter schon mit achtzehn ihr erstes Kind hatte – Onkel Fritz. Und ich bin achtzehn.«
»Kennst du den geologischen Aufbau von Neuguinea?« fragte Walter.
Eva schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Oh, das wird schwer werden!«
»Wer ist denn da?« rief Hermann Wolters aus dem Wohnzimmer. »Walter! Gabi!«
»Das ist er!« Walter nickte Eva Aurich aufmunternd zu. »Unsere Familie ist eine sogenannte intakte Familie – aber total chaotisch. Man merkt das nicht sofort, alles läuft supernormal, aber in diesem Supernormalen steckt der Irrsinn! Also denn, gehen wir zum Diktator …«
Dorothea erhob sich ohne Eile, als Eva Aurich ins Zimmer trat. Genauso hatte sie sich den Familienanschluß vorgestellt, nachdem sie mit einiger weiblicher Phantasie das dem Brief beigelegte Brustbild nach unten verlängert hatte. Nur waren die Beine noch länger und schlanker, als Dorothea vermutet hatte, und überhaupt war Eva Aurich eine wahre Augenweide.
Das Mädchen kann nichts dafür, dachte Dorothea etwas hilflos. Aber für ihren Job mit Familienanschluß ist sie einfach zu hübsch.
Hermann Wolters katapultierte sich förmlich aus seinem Sessel und entwickelte eine jugendliche Elastizität, die auf regelmäßige sportliche Betätigung hätte hindeuten können, was aber gar nicht der Fall war. Wolters hatte für Sport immer wenig übrig gehabt. Er war ein geistiger Mensch. Lediglich Fußball und Boxen interessierten ihn, aber auch nur vor dem Fernseher.
»Da sind Sie ja!« rief er schwungvoll. Es war ein dämlicher Satz, aber in dieser Situation verzeihlich. »Meinen Sohn und meine Tochter kennen Sie ja nun schon. Das hier ist meine Frau Dorothea – ich bin Hermann Wolters. Sind Sie mit einem Taxi gekommen? Hatten Sie Auslagen?«
»Nein, ich habe einen eigenen Motorroller.« Eva gab jedem die Hand – es waren die schrecklichen leeren Minuten, in denen man nicht recht weiß, was man sagen soll, diese Minuten des Kennenlernens und Abtastens. »Ich habe ihn an den Zaun des Vorgartens gelehnt. Das darf ich doch?«
»Aber ja, ja! Hier ist noch eine Gegend, wo eine Jungfrau nachts unangefochten an einem Gebüsch vorbeigehen kann … hahaha …«
Eva Aurich lächelte höflich, Dorothea zeigte keinerlei Regung, und Walter warf Gabi einen schnellen Blick zu. Paps benimmt sich mal wieder super, sollte das heißen.
Das Gespräch kam etwas mühsam in Fluß, was vor allem daran lag, daß Walter von einem Jugendtreffen gegen den amerikanischen Imperialismus berichtete, zugegebenermaßen mit originellen Redewendungen und ohne sich von seinem Vater irritieren zu lassen. Danach kam er auf die kapitalistische Gesellschaft zu sprechen, die in Dekadenz enden würde, aß dabei drei Stück Stachelbeertorte mit viel Schlagsahne und trank vier Tassen Kaffee.
Endlich konnte Wolters eine kleine Denkpause zu der Bemerkung benutzen: »Ich möchte hier nur etwas richtigstellen, Fräulein Aurich. Wenn Sie Interesse daran haben, mit uns in die Ferien zu fahren, wird es nicht Ihre Aufgabe sein, die marxistische Klagemauer meines Sohnes Walter darzustellen. Es handelt sich vielmehr um meinen Sohn Manfred, gerade zehn geworden … Gabi, hol doch mal Manni her.«
»Falls er will.« Gabi erhob sich und verließ das Zimmer. Mit diesem kurzen Satz war alles gesagt, stand das ganze Problem vor Eva Aurich.
Wolters versuchte ein schiefes Lächeln, Walter hob stumm und resignierend die Schultern, nur Dorothea meinte in ihrer milden Art:
»Manfred ist ein Nachkömmling.«
»Ich verstehe«, antwortete Eva. »Sehr verwöhnt …«
»Man könnte ihn täglich neunmal an die Wand knallen!« erklärte Walter.
»Du übertreibst!« Wolters sah seinen Sohn böse an. Er vergrault mir ja die junge Dame! Sie bekommt Bedenken, noch bevor sie Manfred gesehen hat. »Walter tut so, als sei sein kleiner Bruder ein Ungeheuer …«
»Es fehlt nicht viel!«
»Er hat einen eigenwilligen Charakter – und das begreifen die wenigsten.«
»Ich glaube, es wird für mich eine gute Aufgabe sein, Manfred zu beobachten«, sagte Eva Aurich.
»Wieso beobachten?« Walter blickte Eva ziemlich konsterniert an. »Du sollst ihn an den nächsten Baum binden, damit er keinen Blödsinn macht.«
»Beobachtung ist das Fundament der
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