Mit Familienanschluß
Frida auszuladen.« Wolters steckte den Brief ein. »Nachdem Manfred – in bester Absicht, das gebe ich zu – Ihnen geschrieben hat und damit die Lawine auslöste, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Folgen abzuwarten.«
»Dann reise ich ab!« sagte Walter entschlossen. »Damit habt ihr für Onkel Theo schon mal ein Zimmer. Und wenn Gabi zu Eva zieht, hat auch Tante Frida eines. Viel Vergnügen für die letzten zwei Wochen – aber ohne mich!«
»Du bleibst wie wir alle!« Wolters fegte mit der Hand jeden weiteren Einwand fort. »In Notzeiten hat die Familie zusammenzuhalten und nicht auseinanderzubrechen! Das ist der tiefe Sinn einer intakten Familie – die kleinste, aber schlagkräftigste Zelle in einer großen Gemeinschaft zu sein!« Er sah auf seine Uhr. »Wenn wir noch ausgiebig schwimmen und sonnenbaden wollen, müssen wir jetzt los! In die Wagen! Nutzen wir die nächsten zehn Tage noch voll aus.«
Trotz dieser eindrucksvollen Ansprache sagte Dorothea auf der Fahrt zum Strand: »Muckel, gibt es wirklich gar keine Möglichkeit, diesen Besuch zu verhindern?«
»Kaum! Ihr überlegt alle zu wenig. Ihr klebt an eurer engstirnigen Trägheit. Onkel Theo verfügt über ein Vermögen von schätzungsweise fünf Millionen, einschließlich des Hauses in Bad Pyrmont. Und wer sind die Alleinerben? Unsere Kinder!«
»Dann lade wenigstens Tante Frida aus …«
»Tante Frida hat den Hof meines Großvaters geerbt, einen der schönsten im Kreis Bückeburg. Was der wert ist, kann man kaum schätzen! Das Haus steht unter Denkmalschutz. Und wer ist in ihrem Testament damit bedacht? Unser Kinder! Soll ich sie enterben lassen, nur weil wir Tante Frida nicht einmal eine Woche lang ertragen können? Bei nüchterner Abwägung aller Fakten kann das nicht dein Ernst sein?«
»Aber der Rest der Ferien ist versaut!« sagte Gabi vom Rücksitz.
»Dafür bekommst du mal Millionen …«
»Noch leben beide und sind geradezu bedenklich frisch. Onkel Theo kann hundert Jahre alt werden, und Tante Frida konserviert sich selbst mit ihrer eigenen Galle!«
»Schluß! Kein Wort mehr darüber!« Wolters zog die Schultern hoch. Onkel Theo und Tante Frida als Garanten eines sorglosen Lebensabends waren für ihn außerhalb aller Kritik. Müheloser konnte man keine Millionen verdienen, als diese Verwandtschaft von Zeit zu Zeit zu ertragen. Und das konnte man kategorisch von jedem Familienmitglied verlangen.
»Geld kassieren und die Schnauze aufreißen!« knurrte Hermann Wolters. »Das ist typisch für die heutige Jugend! Nie ein Opfer bringen, aber immer die Hand aufhalten! Es bleibt dabei – kein Wort mehr über Onkel und Tante, sonst werde ich ungemütlich.«
Die Familie respektierte das. Genau betrachtet konnte man Hermann Wolters auch keinen Vorwurf machen. Als Studienrat hatte er eine berechenbare Zukunft mit einer ebenso berechenbaren Pension, die zu keinem Jubelschrei Anlaß gab. Onkel Theo und Tante Frida aber garantierten seinen Kindern ein Leben, von dem Millionen Menschen nur träumen können. Darum war Wolters wie eine Glucke, die geduldig goldene Eier ausbrütete, ohne die Jahre zu zählen, die dazu nötig waren. Einmal würde jedenfalls der große Augenblick kommen …
Nur unbelehrbare Moralisten können behaupten, man versuche Gott, wenn man auf das Ableben eines Erbonkels oder einer Erbtante wartet. Sie vergessen, daß wir alle sterblich sind. Warum soll man sich darauf nicht beizeiten vorbereiten?
Am Strand sagte Dorothea leichthin: »Ich gehe zum Friseur! Ich sehe ja furchtbar aus. Fast acht Tage laufe ich mit diesen Haaren herum.«
Und Walter verabschiedete sich mit dem Satz: »Ich hol' die Fotos ab und bringe dann Eis mit.«
Wolters nickte nur. Ihm ging der Brief von Onkel Theo nicht aus dem Sinn. Auch er war nicht von diesem Besuch begeistert, zumal sich dadurch echte Platzprobleme ergaben. Man konnte natürlich Eva und Gabi in einem Zimmer unterbringen, damit das andere für Tante Frida frei war. Aber wohin mit Onkel Theo?
Walter würde sich vermutlich kategorisch weigern, Manfred zu sich zu nehmen, das hatte Dorothea vorhin schon angedeutet (wohlweislich im Hinblick auf Ingeborgs gelegentliche nächtliche Anwesenheit). Davon ahnte Wolters zwar nichts, aber trotzdem erkannte er das Problem. Man konnte Onkel Theo doch nicht unten im Wohnraum auf der Couch schlafen lassen! Von einer millionenteuren Jugendstilvilla auf eine harte, schon ein bißchen abgewetzte Couch – das war nicht zumutbar. Auch nicht in einem
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