Mit Familienanschluß
euch alle gefahren!«
»Wir freuen uns, daß wir leben! Übrigens hat Hermann eine Idee. Wir ziehen nächste Woche am Strand um, weiter nach Alassio zu. Dort gibt es eine Bucht, wo man nackt baden kann. Walter hat sie entdeckt. Da wollen wir alle hin.«
»Einschließlich Eva?«
»Natürlich. Sie hat doch Familienanschluß …«
Für Tante Frida war damit der Kurzurlaub beendet. An eine Verlängerung dachte sie nicht mehr. Wie Onkel Theo, den der Balken im Stall zu sehr verwirrt hatte, war sie froh, morgen wieder abreisen zu können.
Zwar standen ihr noch die Tortur der Autofahrt mit Onkel Theo am Steuer bis Nizza bevor und dann der schreckliche Flug über die Alpen nach Düsseldorf – aber wenn alles gutging und sie auch diese Gefahren überlebte, war sie übermorgen wieder in ihrem geliebten Bückeburg, auf ihrem riesigen alten Hof und konnte sich von dem Ausflug an die Riviera erholen.
Zum Abschluß gab Onkel Theo noch ein Gala-Essen in Diano Marinas feinstem Restaurant. Es hatte den Eindruck, als sei es eine Seeräuber-Party, denn Onkel Theo und Hermann Wolters erschienen mit schwarzen Augenklappen und erregten damit überall berechtigtes Aufsehen. Ein Gast am Nebentisch, ein Kölner, rief sogar mit rheinischer Fröhlichkeit:
»Enä! Wenn isch dat in Kölle verzäll … Hier lande noch Pirate!«
Wie immer zeigte sich Onkel Theo großzügig. Von Austern bis Hummer, von der weißen Trüffelsuppe bis zum Pistazieneis mit Sahne, vom Piemontwein über klassischen Chianti bis zum Champagner und Kognak, ließ er alles auftischen und achtete nicht auf den Preis.
»Das mußt du dir merken, mein Junge«, sagte er zu Walter, der neben ihm saß und sich ein wenig schuldbewußt fühlte, »wenn du eine Speise- und Getränkekarte bekommst, halte immer die rechte Spalte zu, weil da die Preise stehen, und bestelle, was dir schmeckt.«
»Das kannst du dir leisten«, antwortete Walter. »Aber wir sind kleine Normalverbraucher.«
»Kommt Zeit, kommt Rat«, lachte Onkel Theo und zwinkerte mit den Augen. »In der Zukunft schläft so manche Überraschung.«
Hermann Wolters atmete auf. Er deutete diesen Satz so, daß Onkel Theo nicht daran dachte, sein Testament zu ändern. Die Millionen würden in die Portemonnaies der Familie Wolters fließen und nicht in eine wohltätige Stiftung, wie es Erbonkel manchmal zum Entsetzen der wartenden Familie fertigbringen.
Aber dann sagte Onkel Theo einen Satz, der alles wieder in Frage stellte: »Du treibst Sport, Walter?«
»Ja, Judo …«
»Aktiv?«
»Ziemlich.«
»Auch Boxen?«
»Nein …«
»Das solltest du aber«, sagte Onkel Theo friedlich. »Du scheinst ein großes Talent zu sein.«
Damit war das Thema erledigt. Trotzdem starrte Hermann Wolters seinen Sohn böse an, und Walter schlug die Augen nieder.
O Scheiße, dachte er. Mohammed Ali bekommt für einen Kampf zehn Millionen … Ich muß sie für einen einzigen Schlag bezahlen! Das teuerste blaue Auge der Welt …
Am nächsten Morgen brachte die ganze Familie Onkel Theo, Tante Frida und den kleinen geliehenen Fiat bis hinunter zur Seestraße, und Hermann Wolters und Walter hupten in ihren Wagen so lange einen Abschiedssalut, bis Onkel Theo mit verkehrsgefährdendem Schwung um die nächste Kurve verschwunden war. Da es nicht knallte und kein Blech aufschrie, war alles gutgegangen. Die Verwandtschaft hatte Diano Marina verlassen.
»Jetzt haben wir nur noch vierzehn Tage«, sagte Walter und reckte sich. »Junge, wie die Zeit vergeht! Nun, wo wir so richtig warm geworden sind, geht der Urlaub dem Ende zu.«
»Das ist ja das doofe!« Manfred leckte wieder an einem Eis; er konnte von Eis leben. »Ferien sind viel zu kurz. Aber die Lehrer haben ja keine Ruhe …«
Auch Hermann Wolters dachte nur ungern an den Wiederbeginn der Arbeit. Das erschreckte ihn. Ein Studienrat hat sich nach seiner Schule zu sehnen, ihm sollte die Klasse fehlen, der typische, mit nichts zu vergleichende Schulmief, der ständige, erbitterte Kampf mit der Dummheit, die mühsame Vermittlung humanistischer Bildung. Statt dessen ertappte er sich bei dem Wunsch, hier am Strand bleiben und faulenzen zu dürfen.
Es war etwas Wahres dran: Die südliche Sonne, das schimmernde Meer, die unbeschwerte Lebensart machen süchtig. Die Geschichte bewies es: Die Goten und die Staufer gingen am italienischen Frohsinn zugrunde. Einem Hermann Wolters durfte so etwas allerdings nicht passieren.
»Genießen wir diese vierzehn Tage«, sagte er. »Aber auf Sparflamme.
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