Mit Fünfen ist man kinderreich
Auf dem Rathaus ist eine braune Aktentasche mit einem defekten Schloß ohne Inhalt abgegeben worden. Wer nähere Angaben zu machen vermag, kann sich dort das Fundstück abholen!«
Karlchen war Junggeselle und deshalb mehr im ›Löwen‹ als in seinem kleinen Häuschen anzutreffen. Vielleicht war das der Grund, weshalb er öfter mal verschlief und die deshalb keineswegs traurigen Kinder mit erheblicher Verspätung in der Schule ablieferte. Dadurch kam der ganze weitere Fahrplan durcheinander. Deshalb bewilligte man Karlchen von Amts wegen ein Telefon, und der Gemeindeschreiber mußte seinen Untergebenen täglich um halb sieben telefonisch wecken. Bis man sich zu dieser Lösung durchgerungen hatte, passierte es hin und wieder, daß sich die Schüler nach längerer Wartezeit zu Fuß auf den Weg machten, von Autofahrern mitgenommen wurden und tröpfchenweise in den Schulen eintrafen.
Ging die Hinfahrt normalerweise zügig vonstatten, so dauerte die Rückfahrt erheblich länger. Hauptsächlich deshalb, weil Karlchen aufmüpfige oder allzu temperamentvolle Fahrgäste kurzerhand aus dem Bus warf und zu Fuß gehen ließ. Sascha war meist dabei, und ich gewöhnte mich daran, sein Mittagessen automatisch in die Backröhre zu schieben, wenn Sven wieder mal allein auftauchte.
Am ersten Schultag in diesem Jahr fuhr ich also mit Sascha mit einem stotternden Hannibal nach Aufeld, während Rolf seinen Erstgeborenen in der Stadt ablieferte.
Wir hatten Sascha seinerzeit vorzeitig eingeschult, weil seine Kindergärtnerin behauptet hatte, mit ihrem Spiel- und Lernprogramm seinen geistigen Höhenflügen nicht mehr gewachsen zu sein. Ich wurde aber niemals den Verdacht los, daß sie den unternehmungslustigen Knaben gern abschieben wollte und die Schule als geeigneten Aufenthaltsort ansah, wo man seine ständigen Dummheiten nicht mehr so ohne weiteres tolerieren würde. Deshalb hatte ich Sascha damals auch mit sehr gemischten Gefühlen begleitet, als er sich dem Schulreifetest unterziehen mußte.
Den Schulpsychologen brachte er fast zur Verzweiflung, weil er sich minutenlang mit ihm herumstritt, ob ein bestimmter Bauklotz nun blau oder violett sei; dem geforderten Strichmännchen malte er versehentlich nur vier Finger an jede Hand und begründete den fehlenden fünften Finger mit der Ausrede: »Das Männchen drückt mir doch die Daumen, damit ich den Quatsch hier bestehe!« Und die Frage, wer schneller einen Baum hinaufklettern könne, eine Ameise, ein kleiner Junge oder ein Eichhörnchen, beantwortete er ohne Zögern mit »ein kleiner Junge natürlich!« Als man ihm sagte, das sei falsch, ein Eichhörnchen könne besser klettern, erwiderte Sascha in überzeugendem Ton: »Sie kennen ja auch meinen Bruder nicht, der ist bestimmt schneller!«
Darauf erklärte man meinen Sohn für schulreif, und während seiner gesamten Schulzeit blieb er der Benjamin der Klasse.
Die Schule in Aufeld umfaßte vier Klassen, das Lehrerkollegium bestand aus Herrn Dankwart und aus Fräulein Priesnitz, die die beiden unteren Jahrgänge betreute. Herr Dankwart befehligte die 3. und 4. Klasse, manchmal zusammen, meist nebeneinander, ideal war keine der beiden Alternativen. Während die eine Klasse über Rechenaufgaben brütete, bekam die andere Erdkundeunterricht, und wenn diese dann das soeben Gehörte schriftlich fixierte, wurde in der anderen deutsche Grammatik unterrichtet. Mir ist es heute noch ein Rätsel, wie Sascha nach dieser etwas fragwürdigen Grundausbildung die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium bestanden hat.
Die Kinder liebten Herrn Dankwart, einen in Ehren ergrauten Schulmeister kurz vor dem Pensionsalter, obwohl er preußischen Drill bevorzugte und seinen Zeigestock nicht unbedingt nur für die Landkarte benutzte. Zu seinem Leidwesen war die Prügelstrafe inzwischen abgeschafft worden, was ihn aber nicht hinderte, das ministerielle Verbot gelegentlich zu vergessen. Die Eltern hatten wohl nichts dagegen.
Zum Teil hatten sie früher selbst schon von Herrn Dankwart ihre Dresche bezogen, und außerdem konnte man nach ihrer Ansicht eine Ohrfeige oder ein paar Schläge auf das Hinterteil nicht als Prügel bezeichnen. Väterliche Abreibungen sahen da ganz anders aus!
Wir hatten auf handgreifliche Erziehungsmethoden bisher verzichtet, und so war Sascha denn auch mehr überrascht als empört, als auch ihn einmal der bewußte Zeigestock erwischte. Sein Vater fand das allerdings weniger erheiternd. Er brachte seinen Sproß am nächsten Morgen
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