Mit Fünfen ist man kinderreich
eine Haushälterin längst vergangener Zeiten mit einem Schlüsselbund in der Hosentasche herum. Für den Staubsauger brauchte ich Strom; um an eine Steckdose zu kommen, mußte ich mit einem Spezialhaken die Schutzklappe entfernen. Die Balkontür bekam ein Sicherheitsschloß, denn an dem einfachen Hebelverschluß erprobten die Mäuse laufend ihre ständig wachsenden Kräfte. Außerdem war es empfehlenswert, die Schranktürschlüssel abzuziehen. Vergaß ich das einmal, konnte ich den Inhalt der unteren Fächer in allen vier Ecken zusammensuchen.
Ein Problem wurde die Wickelkommode. Sie hatte einen Magnetverschluß, und es gab keine Möglichkeit, ein normales Schloß anzubringen. Also band ich um die beiden Griffe Einweckgummi. Dieser primitive Mechanismus kostete mich zwar manchen Fingernagel, aber es dauerte sehr lange, bis die Zwillinge auch diese Nuß geknackt hatten. Dann allerdings waren sie begeistert über die Zellstoffwindeln hergefallen. Wäre ein Schneesturm durch das Zimmer gefegt, es hätte nicht schlimmer aussehen können…
Eines Tages hatte ein Zwilling einen neuen Zeitvertreib entdeckt. Vermutlich war es Nicole, sie hat entschieden die größere Geduld. Irgendwo mußte sich ein kleines Stückchen Tapete gelöst haben, und wenn man lange genug daran zog und kratzte, wurde das Stückchen größer und ließ sich abreißen. Das machte Spaß, und man sah endlich mal einen Erfolg seiner Bemühungen! Daraufhin begann Katja an der gegenüberliegenden Wand. Ich versuchte verzweifelt, diesen Zerstörungstrieb einzudämmen, zumal die Mäuse jetzt statt Grünfutter Kalk und gelegentlich Tapete aßen. Es half alles nichts. Im Frühjahr kam der Maler!
Und schließlich kam auch der Tag, an dem die Zwillinge freudestrahlend in die Küche marschierten. Sie hatten die letzte Schranke auf dem Weg in die Freiheit, nämlich die Kinderzimmertür, überwunden. Die immerhin noch verhältnismäßig ruhige Zeit war endgültig vorbei.
5
Langsam gingen die Ferien zu Ende, und es wurde Zeit, daß wir uns um die geistige Weiterbildung unseres inzwischen total verwilderten Nachwuchses kümmerten.
Sven hätte mit Beginn des neuen Schuljahres eigentlich das Gymnasium besuchen müssen, aber wir hatten beschlossen, noch ein Jahr zu warten und ihn dann mit Sascha zusammen in dieselbe Klasse zu stecken. Nach Rolfs Ansicht würde diese Regelung für die Beteiligten erhebliche Vorteile mit sich bringen. »Die beiden können sich dann gegenseitig auf die Sprünge helfen!« Die Praxis sah später anders aus: Sven erledigte mit der ihm eigenen Gründlichkeit seine Hausaufgaben, während sich Sascha draußen herumtrieb, um dann abends heimlich die Hefte seines Bruders zu kassieren und in einer halben Stunde alles Erforderliche abzuschreiben. Es nützte auch nichts, wenn Sven seine Hefte versteckte; Sascha fand sie immer mit unfehlbarer Sicherheit.
Wir hatten inzwischen erfahren, daß sich die Grundschule in unserem Nachbardorf Aufeld befand, während die Hauptschule in der 12 km entfernten Kreisstadt lag. Bewältigt wurde der Pendelverkehr mittels eines alten Lieferwagens, in den man ein paar Sitzreihen montiert hatte. Da meistens einige Fahrgäste aus Krankheits- oder auch Faulheitsgründen fehlten, reichte der Platz aus. Waren aber einmal alle Schüler vollzählig, dann hockten sie wie Ölsardinen auf ihren Bänken. Das klappernde Vehikel spuckte seine Fracht vor der Grundschule aus, wo ein normaler Schulbus den Weitertransport der Haupt-, Real- und Oberschüler übernahm.
An sich klappte dieses Beförderungssystem ganz gut, das schwache Glied in der Kette war lediglich Karlchen. Seinen Nachnamen habe ich nie erfahren, vielleicht hatte er gar keinen. Karlchen war das Gemeindefaktotum und in dieser Eigenschaft auch Fahrer des ›kleinen‹ Schulbusses. Außerdem las Karlchen die Stromzähler ab, fegte freitags die Dorfstraße, wusch einmal wöchentlich die schon antiquierte Feuerspritze und fungierte als Dorfbüttel. Am Ersten eines jeden Monats zog er mit einer riesigen Glocke durch das Dorf und verkündete an drei zentral gelegenen Stellen die amtlichen Neuigkeiten. Das hörte sich ungefähr so an: »Der Tierarzt wird in der ersten Septemberhälfte gegen die Maul- und Klauenseuche schutzimpfen. Der Kaminkehrer kommt am Donnerstag, die Bewohner werden gebeten, zu sagen, wo sie sind. Die nächste Gemeinderatssitzung findet am 11. des Monats in Aufeld im Gasthaus zum ›Goldenen Hahn‹ statt. Vor 22 Uhr wird kein Alkohol ausgeschenkt.
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