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Mit Fünfen ist man kinderreich

Mit Fünfen ist man kinderreich

Titel: Mit Fünfen ist man kinderreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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selbst in die Schule und versuchte Herrn Dankwart klarzumachen, daß es nachhaltigere Strafen gäbe als ausgerechnet Prügel. Herr Dankwart zeigte sich einsichtsvoll und verdonnerte bei der nächsten Gelegenheit unseren Sohn zum Abschreiben einer beliebigen Seite aus dem Lesebuch. Sascha blätterte so lange herum, bis er eine Seite fand, auf der neben einer großen Zeichnung ein sechszeiliges Gedicht stand. Das schrieb er ab und hatte damit zumindest formell seine Auflage erfüllt.
    Seine nächste Schandtat mußte er mit einem Aufsatz büßen, Thema: ›Weshalb ich mich während des Unterrichts ruhig verhalten muß.‹ An sich sah er dazu überhaupt keinen Grund, bastelte aber doch ein paar allgemeine Weisheiten zusammen und schloß seine Ausführungen mit dem Satz: ›Ich muß in der Schule ruhig sein, damit der Lehrer sein eigenes Wort verstehen kann.‹ Abends beschwerte er sich bei Rolf: »Die anderen haben's viel besser, die kriegen eins hinter die Ohren, und ich muß immer irgendwas schreiben!«
    Besonderer Beliebtheit erfreute sich Herrn Dankwarts Prämiensystem. Er verteilte Fleißpunkte. Für sorgfältig erledigte Schularbeiten, besonderen Gehorsam oder gute Antworten (gelegentlich auch für privates Brötchenholen) gab es Punkte. Für zehn Punkte gab es einen Fleißzettel, für fünf Fleißzettel einmal Befreiung von den Hausaufgaben. Die Fleißzettel hatten die Größe von Kinokarten, waren mit dem Schulstempel versehen und mit Herrn Dankwarts Namenszug beglaubigt, was zu Saschas Bedauern eine Fälschung nahezu unmöglich machte. Da er auf reguläre Weise nie genug Punkte sammeln konnte, um einen Fleißzettel zu ergattern, geschweige denn fünf, sann er auf Abhilfe. Zunächst freundete er sich mit dem Klassenbesten an, der in seinen Augen zwar ›ziemlich doof‹ war, den er aber brauchte, weil dieser Musterknabe viel zu oft einen Fleißzettel kassierte. Gelegentliche Hausbesuche und kleine Geschenke in Form von ausgelesenen Comics oder Farbstiften besonders guter Qualität (in Rolfs Arbeitszimmer standen ja genug herum!) festigten schnell die Freundschaft, und so langsam konnte man zum Kern der Sache kommen. Da Peter-Michael die Fleißzettelchen nur zum eigenen Vergnügen sammelte und nie auf die Idee gekommen wäre, auch nur einmal davon Gebrauch zu machen, wurde man sich schnell handelseinig. Zehn Zettel entsprachen künftig dem Gegenwert eines Matchbox-Autos. Sascha besaß eine umfangreiche Sammlung mit diversen doppelten Exemplaren. Später tauschte er auch noch andere Dinge, deren Wert jedesmal stundenlang ausgehandelt werden mußte.
    Außerdem entdeckte Sascha plötzlich seine Liebe zu Klassenkameraden weiblichen Geschlechts. Im allgemeinen schätzte er Mädchen gar nicht, weil die immer so dämlich kicherten, entsetzt schrien, wenn man ihnen eine besonders schöne Raupe zeigte, und jedesmal losheulten, weil man sie im Freibad ein bißchen untergetaucht hatte. Andererseits waren Mädchen artiger als Jungen und bekamen mehr Fleißzettel. So trug Sascha der jeweils Auserwählten, die nach seiner geheimen Buchführung über das notwendige Quantum an Fleißzetteln verfügen mußte, ein paar Tage lang die Schulmappe nach Hause und lud sie zu sich ein, wo sie verlegen in einer Ecke stand, um ihr dann bei der ersten Gelegenheit einige dieser begehrten Papierstückchen abzuschmeicheln.
    Auf diese Weise hatte er immer eine gewisse Reserve, die er genau dosiert einsetzte. Waren die Hausaufgaben zu umfangreich oder zu kompliziert oder hatte er den Nachmittag bereits anderweitig verplant, dann präsentierte er am nächsten Tag statt der erforderlichen Aufgaben fünf Fleißzettel. Ich habe nie begriffen, weshalb Herr Dankwart nicht endlich protestierte, denn schließlich mußte er am besten wissen, daß Sascha niemals auf reelle Weise an diese Hausaufgaben-Befreiungszertifikate herangekommen sein konnte. Vielleicht hatte er Respekt vor dessen Vater, der ganz offensichtlich über die Anordnungen des Kultusministeriums Bescheid wußte und möglicherweise auch ahnte, daß sich dieses zweifelhafte Prämiensystem etwas außerhalb der Legalität befand.
    Sven dagegen mußte treu und brav jeden Tag seine Schularbeiten machen, die ihm zwar nicht schwerfielen, ihn aber entsetzlich langweilten. Das augenblickliche Pensum hatte er schon zum Teil in der vergangenen Klasse bewältigt, und besonders die Oberrheinische Tiefebene scheint sich in Baden-Württemberg großer Beliebtheit zu erfreuen. In Erdkunde kaute er sie jetzt

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