Mit Fünfen ist man kinderreich
und demontierten zum Suchen die Lampions. Rolf verwandelte sich durch Ablegen seiner Schürze wieder vom Küchenchef in den Vater, sprach ein Machtwort und sammelte die Aufelder Kinder um sich. Gemeinsam marschierte er mit ihnen zum Wagen, und ehe sie richtig begriffen hatten, was das für ein neues Spiel war, saßen sie drin und wurden nach Hause gefahren.
Jetzt hatte ich nur noch Jung-Heidenberg da. Aber diese Herren waren der einhelligen Meinung, sie hätten es ja nicht weit und könnten ruhig noch eine Weile bleiben.
Ich war entschieden dagegen. Schließlich drückte ich jedem einen Lampion in die Hand und schlug ihnen vor, einen Fackelzug zu bilden, durch das Dorf zu marschieren und sich dann zu zerstreuen. Die ersten beiden Anregungen befolgten sie. Dann kamen sie geschlossen zurück, neue Kerzen zu holen.
Jetzt wurde es Rolf zu bunt. Er griff sich die fünf größten Schreihälse, stopfte sie ins Auto, lud sie bei ihren Eltern ab, kehrte um, holte den Rest und fuhr ihn ebenfalls nach Hause. Das Fest war zu Ende.
Noch Tage später war die Party das Gesprächsthema bei der Jugend in und um Heidenberg, und ich habe mir den heimlichen Groll diverser Mütter eingehandelt, weil deren Sprößlinge künftig auch so einen Geburtstag feiern wollten wie ›dem Sascha seinen‹.
9
Wer in einem Dorf lebt, sollte tunlichst körperlich auf der Höhe sein (und es ist vorteilhaft, wenn er geistig nicht allzusehr auf der Höhe ist). Den nächsten Arzt gab es in der Stadt, aber der war selten zu erreichen, weil er entweder bei einer Hausgeburt helfen mußte oder auf einem entfernten Bauernhof Großvaters Hand aus der Häckselmaschine befreite oder weil er ganz einfach seine Praxis wegen Abrechnung zumachte. Dann fuhr er zum Angeln.
Dafür öffnete er jeden Mittwochvormittag seine Außenstelle in Aufeld, das heißt, er bezog ein Stübchen im Obergeschoß des Kolonialwarenladens, entnahm der mitgebrachten Tasche Rezeptblock, Kugelschreiber und Blutdruckmesser, breitete alles auf dem Schreibtisch aus und hielt Sprechstunde. Ich wurde allerdings nie den Verdacht los, daß es sich hierbei um eine Art Werbeveranstaltung handelte, um den Patientenstamm zu vergrößern. Als ich einmal mit Stefanie hinkam, die über Halsschmerzen geklagt hatte, schaute er ihr kurz in den Mund und erklärte: »Das ist nur eine kleine Entzündung, aber kommen Sie morgen lieber in meine Praxis.« Ähnliche Ratschläge erhielten auch die meisten anderen Patienten, es sei denn, sie brauchten nur ein neues Rezept. Das erhielten sie sofort, denn derlei Schreibarbeiten pflegen bekanntlich die reibungslose Massenabfertigung eines normalen Praxisalltags zu behindern.
So blieb ich lieber bei meiner bewährten Methode und rief in Krankheitsfällen zunächst einmal Jost an.
Der ist auch Arzt, wohnt leider nicht in erreichbarer Nähe und erteilt bei guten Freunden auf Wunsch Ferndiagnose.
»Hör mal, was soll ich machen, Stefanie hat Fieber.«
»Wie hoch?«
»Weiß ich nicht, ich kann das Thermometer nicht finden.«
»Tut ihr etwas weh?«
»Keine Ahnung, gesagt hat sie nichts.«
»Himmeldonnerwetter, wie soll ich denn nach diesen detaillierten Auskünften eine Diagnose stellen. Fällt dir denn überhaupt nichts Außergewöhnliches auf?«
»Sie hat Schlitzaugen wie Mao und rote Flecken am Körper.«
»So ähnlich wie Mückenstiche?«
»Nein, eher wie Sonnenbrand.«
»Dann sind es wahrscheinlich Röteln.«
»Und was macht man da?«
»Gar nichts. Laß sie im Bett. Und noch etwas: Hol vorsichtshalber einen Arzt!«
Dann gab es in der Stadt noch einen Zahnarzt, der sich Dentist nannte, schon ziemlich alt war und von den modernen Errungenschaften der Zahnmedizin offenbar noch nie etwas gehört hatte. Seine Praxiseinrichtung stammte aus der Gründerzeit, genau wie das Schild an der Eingangstür. Die Emaille war halb abgeblättert, und die noch vorhandenen altmodischen Frakturbuchstaben konnte kaum jemand entziffern. Nur der Zusatz ›alle Kassen‹ war nachträglich angebracht worden und deutlich lesbar. Sven ging einmal hin, weil ihm unten links ein Backenzahn weh tat. Als er zurückkam, tat ihm der Zahn immer noch weh, dafür fehlte unten rechts einer, der bis dahin nicht weh getan hatte. Künftig fuhren wir zu einem Zahnarzt nach Heilbronn.
Fällige Friseurbesuche wurden auch problematisch. Die Jungs vermißten sie allerdings gar nicht, sie drückten sich nach Möglichkeit davor und liefen schon damals mit schulterlangem Haar herum, obwohl das erst
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