Mit Fünfen ist man kinderreich
22 Uhr und Mitternacht dem letzten Besucher hinterhergewinkt hatten (»Ihr habt es doch wirklich herrlich hier, so weit ab von allem Lärm und aller Hektik!«) und ich Rolf um seinen Anteil an den noch verbleibenden Aufräumungsarbeiten bat, schützte er stets dringende anderweitige Tätigkeiten vor und verschwand meist ins Bett!
Schließlich wurden uns diese ständigen Invasionen doch zu viel, und wir ergriffen Gegenmaßnahmen. Meldeten sich Gäste telefonisch an, dann hatten wir für den kommenden Tag selbst etwas vor; kamen sie unverhofft, dann wollten wir leider gerade selber wegfahren, und waren sie noch nie in Heidenberg gewesen, dann sorgten wir dafür, daß sie uns erst gar nicht fanden. Wir hatten inzwischen festgestellt, daß es für Ortsfremde ziemlich schwierig war, unser Haus auszumachen. Wer nicht über detaillierte Angaben verfügte, fuhr garantiert an der kleinen Auffahrt, die zu unserem Hügel führte, vorbei, drehte am Ortsausgang wieder um und parkte vor dem ›Löwen‹, um Genaueres zu erfragen. Also instruierten wir Frau Häberle, jeden Besucher abzuwimmeln, es sei denn, sie bekäme Gegenorder. Wenn nun jemand nach dem Lindenweg Nr. 1 fragte, bekam er etwa diese Antwort: »So, zu denne da drobe wollet Sie? Ha, da habet Sie aber koi Glück, die han ich grad vor oiner Viertelstund mit dem Auto fortfahre g'sehn!« Hin und wieder kam es aber auch vor, daß die jeweiligen Besucher nicht aufgaben. Wenn sie schon nicht die Bewohner antreffen würden, dann wollten sie wenigstens ihr neues Heim sehen, suchten auf eigene Faust weiter und überraschten die angeblich abwesende Familie beim Kaffeeklatsch im Garten. Nicht immer fiel uns eine passende Ausrede ein!
Für Stadtmenschen scheint die Tatsache, daß man auf dem Dorf wohnt, gleichbedeutend zu sein mit der Vorstellung, man habe wenig oder gar nichts mehr zu tun, sei ständig zu Hause (das stimmt allerdings) und sehne sich nach Abwechslung (das stimmt auch). Trotzdem lernte ich ziemlich schnell, Telefonanrufen zu mißtrauen, die etwa so begannen: »Du bist doch morgen sicherlich daheim, und da dachte ich, ob du vielleicht …« Derartige Einleitungen bedeuteten, daß einem fremder Leute Kinder aufgehalst werden sollten.
Ich mag Kinder sehr und gönne es ihnen, wenn sie sich einmal richtig austoben können, nur müssen sie das nicht unbedingt zwischen meinen Rosen tun, wenn sie zwanzig Meter weiter ein ganzes Stoppelfeld zum Fußballspielen haben. Und warum müssen sie auf meine Wäschespinne klettern, wenn rundherum Bäume stehen mit dicken Ästen, die fast bis zum Boden reichen? Warum müssen sie bei mir erst durch Regenpfützen, dann durch Bauschutt und anschließend über meine Teppichböden stiefeln, während sie zu Hause die Wohnung nur auf Strümpfen betreten dürfen? Als ich so einen Dreckspatzen einmal energisch zur Rede stellte, bekam ich die Antwort: »Meine Mutti hat gesagt, hier brauche ich mich nicht vorzusehen, weil auf dem Dorf sowieso alles schmutzig ist!« Ha, dann sollte die Mutti mal lieber unter ihre eigenen Schränke gucken. Als mir neulich bei ihr ein Ring heruntergefallen war, habe ich ihn vor lauter Staubflocken kaum wiedergefunden!
Aber nicht nur wir Erwachsene hatten Gäste, auch unsere Kinder litten nicht gerade unter Kontaktarmut, und besonders Sascha schleppte unentwegt neue Freunde an, die sich nur dadurch unterschieden, daß manche ein bißchen weniger schmutzige Knie hatten als andere. Alle waren gefräßig, und ich habe später nie wieder solche Unmengen von Plätzchen gebacken (und gekauft!) wie in jener Zeit. Im übrigen wählte Sascha seine Freunde nach ständig wechselnden Gesichtspunkten aus, wenn man von den Fleißzettelanwärtern absieht, die er mit gleichbleibender Intensität hofierte. Als er sich entschlossen hatte, Feuerwehrmann zu werden, freundete er sich mit einem Knaben an, dessen Vater die Aufelder Freiwillige Feuerwehr befehligte. Dann entschied er sich, seinen Lebensunterhalt später als Rennfahrer zu verdienen und wandte seine Gunst einem Klassenkameraden zu, der einen Rallye-erfahrenen Onkel hatte. Danach kam eine Zeit, während der Sascha Kriminalbeamter werden wollte und intensive Freundschaft mit einem zwei Jahre jüngeren Knirps schloß, weil dessen Mutter bei der Polizei arbeitete. Es stellte sich heraus, daß sie überwiegend Strafmandate für Parksünder tippte und weder über eine Pistole verfügte noch jemals Bankräuber überwältigt hatte, so daß Sascha sehr schnell das Interesse
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