Mit Fünfen ist man kinderreich
Zollstock und Theodolith durch die Unkrautwüste gestapft waren und rot-weiße Stäbe in den Boden gerammt hatten. Dann waren sie unter Hinterlassung der Stangen wieder verschwunden. Wochen später beobachtete ich einen Heidenberger Mitbürger, wie er zwei Stangen aus dem Boden zog, sie abschätzend betrachtete und schließlich mitnahm. Die dritte Stange kassierte Sascha ab, der gerade als Winnetou durch die Gegend tobte und einen Speer brauchte; die übrigen Stäbe blieben danach auch nicht lange stehen. Vermißt wurden sie übrigens nie!
Zwei Tage nach Rolfs Beschwerde rollte ein mit Splitt beladener Lkw vor, kippte seine Last mitten auf den Weg und fuhr wieder ab. Gegen Abend tauchte Karlchen mit einer Schaufel auf und verteilte den Splitt, ungefähr 25 Steinchen pro Quadratmeter. Der nächste Platzregen spülte die ganze Herrlichkeit weg, womit der ursprüngliche Zustand der Straße wiederhergestellt war. Aber dann kam bald der erste Frost, und wir hatten ganz andere Sorgen.
Mit dem Regenwasser begann auch die alljährliche Erkältungswelle. Meine Großmutter hatte immer behauptet, ein Schnupfen sei durchaus heilsam, weil er alle Krankheitskeime aus dem Körper spüle, und sie hatte es immer abgelehnt, irgendwelche Medikamente zu nehmen. Deshalb verordnete ich auch unseren Kindern bei Schnupfen Papiertaschentücher statt Pillen und schickte sie an die frische Luft.
Nicht so Rolf! Bekanntlich ist ein Männerschnupfen schlimmer als Krebs, und Rolf bildet da keine Ausnahme. Wenn er dreimal niest, stürzt er zur Hausapotheke und schluckt alles, was ihm opportun erscheint; muß er darüber hinaus auch noch ein paarmal husten, diagnostiziert er beginnende Lungenentzündung, packt sich ins Bett und tyrannisiert die Familie.
Jetzt war es wieder einmal soweit. Der Ärmste hatte nicht nur dreimal geniest, sondern sogar fünfmal, ein heftiges Räuspern hatte er als Hustenanfall bezeichnet, und als das Fieberthermometer dann auch noch genau 37 Grad anzeigte, beschloß er, ernsthaft krank zu sein. Er trug mir auf, sämtliche Termine abzusagen, Heizkissen und Wolldecke zu holen, seine Mutter von seinem bevorstehenden Ableben zu unterrichten und nicht zu vergessen, die fällige Stromrechnung zu bezahlen. Dann etablierte er sich samt Zigaretten, die er unter Aufbietung der letzten Kräfte immer noch rauchen konnte, und der Cognacflasche, deren Inhalt er zum Desinfizieren der Atemwege brauchte, auf der Couch im Wohnzimmer. Meinen Vorschlag, sich doch lieber ins Bett zu legen, lehnte er ab. Vermutlich befürchtete er, in dem etwas abgelegenen Schlafzimmer in Vergessenheit zu geraten und nicht in regelmäßigen Abständen bedauert zu werden.
Ich rief Jost an und bat um Rat, den ich auch prompt bekam: »Mach ihm einen steifen Grog und wirf zwei Schlaftabletten rein!«
»Warum? Braucht er Ruhe?«
»Er nicht, aber du!«
Eines Tages wurde ich im Morgengrauen durch ein merkwürdiges Geräusch geweckt, das wie ein Gewehrschuß geklungen hatte. Kurz darauf knallte es wieder. Ich weckte Rolf, der, da er auch durch ein mittelschweres Erdbeben nicht wachzubekommen ist, ungerührt weiterschlief, und erging mich in aufgeregten Vermutungen über die Ursache der Schießerei.
Seine Reaktion war ziemlich ernüchternd: »Hast du schon mal was von Fehlzündungen gehört?«
Doch, das hatte ich. Bei Hannibal geschah so etwas öfter, meist mitten in der Stadt, wo sofort alle Leute stehenblieben und mich strafend musterten.
»Das war keine Fehlzündung, das war ein Schuß!«
»Unsinn, wer soll denn hier schießen?« Damit drehte sich mein fantasieloser Gatte auf die andere Seite und schlief wieder ein. Da knallte es erneut, und schon war ich raus aus dem Bett und am Fenster. Nichts zu sehen! Nur eine Katze strich am Zaun vorbei und verschwand im Gebüsch. Aber von hier sah man ja ohnehin nur in die Brennesseln; wenn ich ins Eßzimmer gehen würde, könnte ich vielleicht mehr entdecken. Ich zog meinen Bademantel an und öffnete leise die Tür.
Plötzlich hörte ich Geräusche an der Haustür. Polizei? Oder vielleicht Einbrecher, die erwischt worden waren und sich nun in unserem freistehenden Haus verbarrikadieren wollen? Himmel, warum mußten wir auch unbedingt mitten in die Wildnis ziehen!
Dann hörte ich Saschas Stimme: »Ich habe dir ja gleich gesagt, daß du spinnst. Von wegen Schüsse! Ich habe jedenfalls nichts mitgekriegt.«
Also hatte ich doch recht gehabt, denn Sven war offenbar auch durch die Knallerei aufgewacht! Ich lief die
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