Mit Fünfen ist man kinderreich
Zaungäste verschwanden die ganzen Sachen in Blechbüchsen, die Omi jeden Tag an einer anderen Stelle versteckte, so daß die Suchtrupps niemals fündig wurden.
Während die Vorbereitungen für ein nahrhaftes Weihnachtsfest beinahe abgeschlossen waren, focht ich mit Rolf den sich alljährlich wiederholenden Streit um die Geschenke für die Kinder aus. Er ist der Meinung, Weihnachten sei das Fest der Einzelhändler, und er sähe keinen Grund, sich dem allgemeinen Kaufzwang zu unterwerfen. Sein größtes Weihnachtsgeschenk sei einmal eine Dampfmaschine gewesen, und mit der habe er jahrelang gespielt.
»Dann kauf doch eine! Die billigste kostet 89 Mark.«
»Ich bin doch nicht blöd. Du würdest das natürlich machen, obwohl du genau weißt, daß Sascha das Ding in drei Tagen kaputtkriegen würde!«
»Immer ich! Wer hat ihm denn letztes Jahr das ferngesteuerte Auto gekauft, das nicht einmal bis Silvester gehalten hat?«
Als wir schließlich das Stadium erreicht hatten, in dem gewöhnlich die Türen knallen, mischte sich Omi ein.
»Warum fahrt ihr nicht zusammen nach Stuttgart und seht euch dort um? Ihr könnt dann an Ort und Stelle weiterstreiten und braucht nicht vorher eure Kräfte zu vergeuden.«
Der Geschenkrummel endete dann auch genauso wie im vergangenen Jahr und in den Jahren davor: Rolf hätte am liebsten die ganzen Spielwarenläden leergekauft, ohne Rücksicht auf Stefanies Abneigung gegen Puppen und Svens Desinteresse an mechanischen Dingen. Als wir kurz vor Geschäftsschluß das letzte Paket im Wagen verstaut hatten, ging der Kofferraumdeckel nicht mehr zu und mußte mit einem Bindfaden verschlossen werden.
Die Feiertage konnten beginnen!
Vorher erwartete uns allerdings noch ein großes kulturelles Ereignis: Die vierte Grundschulklasse in Aufeld plante die Aufführung eines weihnachtlichen Krippenspiels. Die Vorstellung sollte im Gemeindesaal stattfinden, der Eintrittspreis war auf eine Mark pro Person festgesetzt, und um einen entsprechend großen Zuschauerkreis zu garantieren, wirkten selbstverständlich sämtliche 32 Viertkläßler mit.
»Ich habe sogar eine Sprechrolle bekommen!« verkündete Sascha beim Mittagessen.
»Spielst du den Ochsen oder den Esel?« erkundigte sich Sven.
Sascha ignorierte die Beleidigung, weigerte sich allerdings, Einzelheiten über sein bevorstehendes Theaterdebüt mitzuteilen. Den Vorbereitungen nach mußte es sich aber um eine sehr bedeutende Rolle handeln, denn er fehlte bei keiner Probe, und ich durfte ihn zweimal wöchentlich nachmittags nach Aufeld fahren. Manchmal lud ich auch noch die anderen Mitglieder des Heidenberger Ensembles ins Auto, so daß Hannibal in allen Fugen krachte und ich tausend Ängste ausstand, wir könnten einer Verkehrsstreife begegnen.
Eines Tages entdeckte ich Sascha, wie er vor Rolfs geöffnetem Kleiderschrank stand und den Inhalt kritisch musterte.
»Wir brauchen noch Mäntel und Hüte«, erklärte er und zerrte den Popelinemantel vom Bügel.
»Du weißt genau, daß Papi keine Hüte besitzt, und den Mantel hängst du schleunigst zurück. Vor zweitausend Jahren hat man so etwas noch nicht getragen.«
»Aber wenn man ein ganz kleines bißchen Dreck drüberstreut, kann man ihn bestimmt als Hirtenmantel nehmen!« Sascha war absolut nicht davon zu überzeugen, daß Achselklappen und Lederknöpfe nicht ins frühchristliche Zeitalter passen.
»Hast du dann wenigstens ein Nachthemd für Maria?«
»Maria war eine arme Frau und hat keine Perlonhemden getragen. Außerdem hatte sie ein Kleid an. Glaube ich wenigstens«, fügte ich vorsichtshalber hinzu. Meine Bibelkenntnisse sind nicht sehr zuverlässig.
»Sie bekommt ja auch noch eine blaue Übergardine als Umhang, aber irgendwas braucht sie noch für drunter.«
Das Problem wurde dann irgendwie anderweitig gelöst, denn mein Schrank blieb von weiteren Durchsuchungen verschont.
Unnötig, zu erwähnen, daß Saschas Berufswünsche eine neue Richtung bekamen und er sein künftiges Heil nunmehr auf der Bühne sah. »Ich gehe nicht aufs Gymnasium, ich bleibe auf der Hauptschule, dann bin ich mit 14 Jahren fertig und kann Schauspieler werden. Ich werde mindestens so berühmt wie Pierre Brice!«
Ein blonder Winnetou wäre wirklich mal etwas Neues!
Jedenfalls beherrschte Sascha bald den gesamten Text des Krippenspiels und hätte bei dem plötzlichen Ausfall eines Mitspielers jeden beliebigen Part übernehmen können, einschließlich den der Maria. Aber wir wußten noch immer nicht, welche Rolle
Weitere Kostenlose Bücher