Mit Fünfen ist man kinderreich
hilfesuchend zu Fräulein Priesnitz, bekam gezischte Regieanweisungen und begann noch einmal von vorne. Diesmal klappte es bis zur fünften Zeile, dann verhaspelte sich der Engel wieder, schniefte ganz unengelhaft und rannte schluchzend hinter den Vorhang. Die Damenkapelle flötete noch einmal etwas Weihnachtliches und marschierte wieder ab.
Nun erschien Herr Dankwart, begrüßte die zahlreich Versammelten, bedankte sich bei den vielen ungenannten Helfern, die in verschiedenster Weise zum Gelingen des Abends beigetragen hatten (Rolf hätte ruhig mitkommen können!), und gab die Bühne frei.
Das Krippenspiel begann mit dem Einzug von Maria und Josef in Bethlehem und endete mit dem angekündigten Kindermord und der Flucht der Heiligen Familie. Herr Dankwart hatte den Text selber geschrieben, und zwar in Versform. Eine Prosafassung wäre vielleicht besser gewesen, dann hätten einige Mitwirkende sicher ihren Part nicht so eintönig heruntergeleiert.
Aber die Begeisterung, mit der die Schauspieler agierten, machte gelegentliche Holperreime wett.
Das Stück war bereits zur Hälfte vorbei, und wir warteten immer noch auf Saschas Auftritt. Sven vermutete seinen Bruder in dem wattebärtigen Oberhirten, aber der war mindestens 15 cm größer als Sascha. Wenzel-Berta tippte auf den ›Schwarzen von die Könige‹, aber das war unzweifelhaft Oliver, den erkannte ich an seiner teuren Armbanduhr.
»Da kommt doch gleich noch ein Verkündigungsengel«, flüsterte die bibelfeste Omi, »vielleicht ist er das!«
»Die Engel werden alle von Mädchen gespielt«, flüsterte ich zurück.
Jetzt war das Stück fast zu Ende, und noch immer hatte ich meinen Sohn nicht entdeckt. Eigentlich konnte es nur einer der Hirten sein. Aber Sascha hatte uns versichert, er habe eine Sprechrolle, und die meisten Hirten waren stumm. Es sprachen nur drei, und die in unverfälschtem Schwäbisch.
Maria und Josef bereiteten schon ihre Flucht vor, der Esel in Gestalt eines grauverhangenen Schaukelpferdes wurde hereingeführt, das Jesuskind quäkte unprogrammgemäß ›Mama‹, als es in die Puppentragetasche gelegt wurde, und begleitet von den Abschiedsrufen der neun Personen ›Volk von Bethlehem‹ verließ die Heilige Familie die Bühne. Das Volk blieb zurück, sah sich hilfesuchend an, blickte in die Kulisse, räusperte sich, wartete. Plötzlich Radau hinter der Bühne, ein schwerer Gegenstand krachte gegen eine unsichtbare Tür, Füßescharren, dann Saschas unverwechselbare helle Kinderstimme: »Machet auf! Machet auf! Oder ihr seid des Todes!« Aufatmend antwortete das Volk: »Das sind Soldaten des Herodes!«
Und dann fiel der Vorhang!
Ich sehe noch heute die vorwurfsvollen Blicke der Umsitzenden, als ich mitten in den Beifallssturm hinein zu lachen anfing, aber ich konnte einfach nicht anders! Das also war Saschas Theaterdebüt und seine Sprechrolle, die er vier Wochen lang geübt und die seine ständige Anwesenheit bei den Proben erforderlich gemacht hatte.
Unseren späteren Neckereien begegnete der künftige Bühnenstar mit stoischem Gleichmut: »Die Rolle war wichtig! Man mußte eine laute Stimme haben, und den Krach habe ich doch auch noch gemacht. Schließlich war ich ja eine ganze Legion Soldaten!«
Rolf wollte sich in diesem Jahr einen Kindheitswunsch erfüllen: Einen fünf Meter hohen Weihnachtsbaum! Unsere Behausung ließ das Aufstellen eines derartigen Riesengewächses zwar zu, die Frage war nur, woher bekommt man eine so hohe Tanne? Der Christbaumverkauf in Heidenberg hatte bereits stattgefunden – am letzten Freitag zwischen 14 und 16 Uhr –, das dort vorhandene Angebot meinen Gatten jedoch nicht befriedigen können. Dafür entwickelte er eine für diese Jahreszeit ungewohnte Vorliebe für Waldspaziergänge, die mit Beendigung der Pilzzeit aufgehört hatten und normalerweise erst im kommenden Herbst wieder beginnen würden. Statt Korb und Küchenmesser nahm er aber jetzt einen Zollstock mit. Mir schwante Fürchterliches! Zu Roseggers Zeiten mag es ja noch üblich gewesen sein, das Christbäumchen selbst im Walde zu schlagen, heutzutage nennt man so etwas Waldfrevel oder sogar Diebstahl, aber bisher war Rolf bei der Polizei noch nicht aktenkundig. Meine Bitten, doch an Frau und Kinder zu denken und nicht auch noch eine kriminelle Laufbahn einzuschlagen, ignorierte er.
»Glaubst du denn wirklich, da rennt nachts der Förster herum und macht Jagd auf mögliche Christbaumdiebe? Schlimmstenfalls begegne ich jemandem, der auch einen
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