Mit Fünfen ist man kinderreich
Baum klaut!«
Die Schande, unseren Ernährer zu Weihnachten im Gefängnis besuchen zu müssen, blieb uns erspart. Zwei Stunden, nachdem er mit seinem zehnjährigen Komplizen sowie Schlitten, Säge, 5o Meter Bindfaden und einer Taschenflasche mit flüssigem Proviant verschwunden war, tauchte er gegen Mitternacht wieder auf. Gemeinsam wuchteten wir den Riesenbaum auf die Terrasse. Dann behandelten wir die zerkratzten Hände und Arme mit Hautcreme.
Am nächsten Morgen wickelten wir das Prachtstück aus seiner Bindfadenumhüllung, stellten es probeweise ins Wohnzimmer und hatten zum erstenmal den Eindruck eines ausreichend möblierten Raumes. Unsere Wohnzimmermöbel, die sonst immer ziemlich zusammengepfercht gestanden hatten, verloren sich hier, obwohl wir sie schon mit meterhohen Topfgewächsen, kleinen Regalen, Bodenvasen und ähnlichen Gegenständen ergänzt hatten. Letzte Errungenschaft war einehemals grüner Überseekoffer, den ich in tagelanger Handarbeit weiß lackiert und mit einem roten Sitzkissen versehen hatte. Er wurde uns in kurzer Zeit unentbehrlich, weil wir bei plötzlichen Überfällen unangemeldeter Besucher alles hineinstopfen konnten, was herumlag. Seine Aufnahmefähigkeit war unbegrenzt, er schluckte von Spielzeugautos über Bügelwäsche bis zu angeknabberten Mäusekeksen und unbezahlten Rechnungen nahezu alles. Jetzt mußten wir ihn aber sogar zur Seite rücken, damit der Weihnachtsbaum Platz hatte.
Omi betrachtete das Mammutgewächs nachdenklich vom Fuß bis zur dreigeteilten Spitze und meinte dann: »Hoffentlich habt ihr genug Christbaumschmuck.«
»In diesem Jahr nehmen wir nur Kerzen, Silberkugeln und Lametta«, ordnete Rolf an, »der Zirkusaufputz wird nicht wieder hingehängt!« Darunter verstand er die meterlangen Buntpapierketten und Strohsterne, die noch aus Svens und Saschas Kindergartenzeit stammten und auf deren Wunsch jedes Jahr wieder verwendet werden mußten. Früher hatten wir auch Wachskerzen benutzt, aber seitdem Sascha im zarten Alter von 15 Monaten unseren damaligen Weihnachtsbaum umgeworfen und beinahe einen Zimmerbrand verursacht hatte, waren wir zu elektrischer Beleuchtung übergegangen. Jetzt waren die Zwillinge in dem gefährlichen Alter, und außerdem hatte ich die letzte Prämie für die Hausratversicherung noch nicht bezahlt.
»Auf jeden Fall brauchen wir noch mindestens eine Lichterkette, am besten zwei«, erklärte Sven, der schon die Weihnachtskiste inspiziert hatte. »Von den silbernen Kugeln haben wir noch sieben ganze und zwei mit Löchern an der Seite, die anderen sind alle bunt. Das Lametta reicht auch nicht.«
Rolf holte also seinen bereits zur weihnachtlichen Ruhe gebetteten Wagen wieder aus der Garage und fuhr los – Christtagsfreude holen!
Sven und Sascha versuchten inzwischen, den Baum in den dafür bestimmten Ständer zu pressen, gaben das hoffnungslose Unternehmen aber bald auf. »In das Ding kriegen wir den nie!« kapitulierte Sven und betrachtete resigniert den erst im vergangenen Jahr gekauften Ständer, »der Stamm ist viel zu dick.«
»Abhacken!« schlug Sascha vor.
»Ist doch Blödsinn, dann kippt er ja gleich um!«
Das Problem wurde bis zu Rolfs Rückkehr vertagt. Die Knaben begaben sich statt dessen zum Schneeschippen.
Mittlerweile hatten wir in den Schneeräumdienst ein gewisses System gebracht. War die Straße morgens wieder einmal zentimeterhoch zugeschneit, dann schaufelten sich die Knaben einen Durchgang bis zum Schulbus-Sammelplatz. Die Schneeschieber deponierten sie bei Wenzel-Berta, die auf ihrem Weg zu uns den Trampelpfad etwas verbreiterte. Rolf schippte die Garage frei, und irgendwann am Vormittag erledigte der Schneepflug den Rest. Rolfs Überredungskunst in Verbindung mit einem entsprechenden Trinkgeld hatte den beamteten Schneepflugfahrer davon überzeugt, daß ein kleiner Abstecher in unsere Zufahrtsstraße den vorgeschriebenen Zeitplan nicht nennenswert durcheinanderbringen würde. Wenn es im Laufe des Tages noch weiterschneite, dann rückte am Nachmittag die Dorfjugend an, die nicht nur begeistert Schnee schaufelte, sondern darüber hinaus sogar ihr eigenes Werkzeug mitbrachte.
Ich kochte dann literweise Kakao, den ich in einen Eimer goß und in den Hausflur schleppte, wo ich ihn mit einer Suppenkelle in Pappbecher füllte und an die Straßenkehrer verteilte. Dabei fühlte ich mich in meine früheste Jugend versetzt, als ich im Rahmen der Kinderlandverschickung in die Tschechoslowakei evakuiert worden war, tagelang
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