Mit Fünfen ist man kinderreich
vorgestellt zu werden. Umgekehrt wäre es mir lieber gewesen, denn Saschas Halbjahreszeugnis war keineswegs präsentabel. Hoffentlich würde man mich nicht für größenwahnsinnig halten, weil ich meinem ganz offensichtlich minderbegabten Sohn eine höhere Schulbildung aufzwingen wollte. Der Herr Direktor musterte mich denn auch zweifelnd, erzählte etwas von ›ziemlich hohen Anforderungen‹ und ›falschem Ehrgeiz‹ und beorderte Sascha zur Aufnahmeprüfung. Sven brauchte keine. Anscheinend hatte er das letzte Schuljahr doch nicht total verschlafen!
Am Morgen des ersten Prüfungstages erkannte ich meinen Zweitgeborenen fast nicht wieder. Flanellhosen statt Jeans, Oberhemd statt T-Shirt, geputzte Schuhe und Kamm in der Tasche. Verlegen lächelnd entschuldigte sich Sascha:
»Na ja, vielleicht beaufsichtigt uns irgendso ein ergrauter Knabe, und die sehen doch schon rot, wenn man in Jeans ankommt. Ich muß aber schon vorher Punkte sammeln!«
Als er mittags wieder auftauchte, war er entschieden zuversichtlicher. »Der Lehrer war ein ganz junger Referendar – was is'n das? – und hatte ganz ausgefranste Jeans an. Außerdem haben wir bloß einen Aufsatz geschrieben.«
Für den nächsten Tag war die Mathearbeit angesetzt, Saschas Achillesferse. Aber in dieser Hinsicht ist er erblich belastet, bei uns kann keiner rechnen. jedesmal, wenn ich Rechnungen ausschrieb und die jeweiligen Prozentzahlen für Skonto, Mehrwertsteuer und irgendwelche Rabatte ermitteln mußte, gab es eine mittlere Katastrophe. Das Ergebnis der ersten Rechnung stimmte mit dem der zweiten nie überein, das dritte differierte ebenfalls. Dann ging ich zu Rolf, der wieder etwas anderes herausbrachte. Schließlich wurde Sven herbeizitiert, und das Resultat seiner mathematischen Balanceakte kam im allgemeinen an eines der bereits vorliegenden heran. Im Zweifelsfall entschieden wir uns für den Mittelwert und überließen es den kundigen Empfängern der Rechnungen, etwaige Fehler zu korrigieren. Als es die ersten Taschenrechner zu kaufen gab, war ich genauso glücklich wie beim Erwerb meiner ersten Waschmaschine.
Begreiflicherweise sah ich Saschas Heimkehr am zweiten Tag ziemlich pessimistisch entgegen. Der Prüfling strahlte.
»Hat prima geklappt! Oliver saß hinter mir, der hat die ganzen Ergebnisse auf einen Zettel geschrieben, in seinen Schuh gesteckt, und dann habe ich meinen Bleistift fallen lassen. Beim Aufheben konnte ich den Zettel holen. Ich glaube, ich habe fast alles richtig. Morgen schreiben wir noch ein Diktat, und anschließend werden wir mündlich geprüft. Davor habe ich aber keinen Bammel mehr.«
Sascha bestand die Prüfung und sah von diesem Tage an keinen Grund mehr, für die Schule noch irgend etwas zu tun. Nach seiner Ansicht konnte ihm nichts mehr passieren, zumal er jetzt auch bei Herrn Dankwart eine gewisse Hochachtung genoß. Gehörte er doch neben Oliver und zwei anderen Schülern zu den wenigen Auserwählten seiner bisherigen Klasse, die die Weihen der höheren Schulbildung empfangen würden.
Stefanie wollte jetzt auch endlich zur Schule gehen. Sie würde zwar erst im November sechs Jahre alt werden, aber ich selbst bin mit fünf eingeschult worden, Sascha ebenfalls, und weshalb sollte das bei Steffi nicht auch klappen?
Sie hatte sich zu Ostern einen Ranzen gewünscht (und bekommen) und fühlte sich als Besitzerin dieses unumgänglichen Attributs nunmehr allem Kommenden gewachsen. Zwischen ihr und der heißersehnten Einschulung stand allerdings noch der Reifetest. Sascha verfügte bereits über einschlägige Erfahrungen. Er entwickelte pädagogische Ambitionen und drillte Steffi
für die bevorstehende Prüfung. Sie mußte vorwärts und rückwärts zählen, sie mußte Strichmännchen malen und Farben bestimmen. Nach drei Tagen intensiven Trainings entließ er seine Schwester mit der aufmunternden Bemerkung: »Wenn du das jetzt nicht schaffst, dann bist du noch zu dämlich und wirklich nicht schulreif.«
Herrn Dankwart war Steffis erwachter Bildungshunger zu Ohren gekommen, und er ließ mir ausrichten, daß meine Tochter einen Vormittag lang in seiner Klasse hospitieren dürfe. Sie sollte die Möglichkeit haben, den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und den gelegentlichen Schauermärchen ihrer Brüder selbst festzustellen.
Steffi war von dem Angebot begeistert und zog an einem der nächsten Tage mit Ranzen, Zeichenblock, Buntstiften und Frühstücksbrot, auf das sie ganz besonderen Wert gelegt hatte, im Kielwasser
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