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Mit Fünfen ist man kinderreich

Mit Fünfen ist man kinderreich

Titel: Mit Fünfen ist man kinderreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Frühstück«, erklärte sie beflissen, »zieh du dich inzwischen an, dann können wir gleich nach dem Essen fahren, sonst kommen wir noch in den Berufsverkehr.«
    Du lieber Himmel, welchen Berufsverkehr meinte sie wohl? Es war dann aber doch halb neun, als ich Tante Lotti endlich in den Wagen verfrachtet und Kamillentee, Keksdose, Wolldecke, Kopfschmerztabletten und Fernglas in bequemer Reichweite untergebracht hatte. Es konnte losgehen.
    »Schönen Gruß an Louis Ferdinand!« rief uns Rolf noch hinterher.
    »So ein Unsinn«, sagte Tante Lotti, »der Prinz ist zu dieser Jahreszeit doch immer auf dem Wümmehof!«
    Zweieinhalb Stunden später winkte mich ein uniformierter Wächter auf einen der drei Parkplätze, die sich unterhalb der Zollernburg befinden und die Endstation für alle Autofahrer bilden. Den Weitertransport der Schaulustigen übernehmen gegen ein fürstliches Entgelt Kleinbusse. Man kann aber auch den restlichen Weg zu Fuß gehen, und ich wollte mir nach der langen Autofahrt ganz gern ein bißchen die Beine vertreten. Tante Lotti hat für Spaziergänge nichts übrig und zwängte ihre 178 Pfund in einen Bus.
    Oben fand ich sie wieder. Sie beäugte durch das Fernglas die Burgfenster.
    »Seine Kaiserliche Hoheit ist wirklich nicht da«, meinte sie bedauernd.
    »Woher willst du das denn wissen?«
    »Weil die Fahne nicht aufgezogen ist.«
    Tante Lotti steckte das Fernglas weg und marschierte zu einer ziemlich unscheinbaren Pforte, vor der schon annähernd fünfzig Leute standen.
    »Gleich fängt eine neue Führung an, Eintrittskarten habe ich schon.«
    »Hör mal, Tante Lotti, müssen wir unbedingt mit einem ganzen Troß herumziehen? Wenn schon Besichtigung, dann wenigstens ohne Leithammel.«
    »Aber Kind, das hätte doch gar keinen Sinn. Einen fachmännischen Führer, der alles erklärt, brauchen wir unbedingt.«
    Die nächsten zwei Stunden schienen überhaupt kein Ende zu nehmen. Ich bin als Kind mehrmals durch Schloß Sanssouci in Potsdam gepilgert, durch das Charlottenburger Schloß und durch andere museale Gedächtnisstätten. Später kamen noch Schloß Schönbrunn und Neuschwanstein dazu, und ich finde, wenn man ein Schloß von innen gesehen hat, kennt man auch die meisten anderen. Aber wenigstens kann man sich als Kind noch mit den großen Filzpantoffeln vergnügen, in denen es sich so herrlich über die Parkettböden schlittern läßt. Für einen Erwachsenen schicken sich solche Spielereien nicht mehr. So trottete ich am Schluß der ganzen Herde durch die Prunkgemächer – Tante Lotti hatte sich gleich bis zu unserem Führer vorgedrängt und wich ihm nicht mehr von der Seite –, betrachtete Himmelbetten, Stuckdecken, Intarsien, Gemälde, Ahnentafeln und fror ganz erbärmlich. Kein Wunder, daß die meisten Fürstlichkeiten im besten Mannesalter gestorben sind. Das bißchen Kamin in den riesigen Gemächern konnte einfach nicht ausgereicht haben, ihre Bewohner vor Lungenentzündung zu schützen. Und Penicillin hatte es damals noch nicht gegeben!
    Tante Lotti war in ihrem Element. Sie kommentierte fachmännisch die heruntergeleierten Erklärungen unseres Führers und wandte sich dann beifallheischend an ihre Nachbarin, eine rotgewandete Dame mit glitzernder Brille und geblautem Haar. »Is nice, nicht wahr?« – »Oh yes, very nice!« bestätigte die Blauhaarige.
    Die Privatgemächer Seiner Kaiserlichen Hoheit waren für den Besucherverkehr gesperrt, dabei hätte ich so gern mal gesehen, wie Hoheiten schlafen. Benutzen die heute auch noch diese gewaltigen Betten mit den samtenen Staubfängern oben drüber?
    Nachdem wir die prunkvollen Zimmer ausgiebig besichtigt hatten – ich glaube, manche haben wir mehrmals gesehen, jedenfalls kam es mir so vor –, stiegen wir in die Kellerräume. Hier war es noch kälter, außerdem zog es entsetzlich. Und zu sehen gab es bloß Särge. Tante Lotti verharrte ehrfurchtsvoll vor den Gebeinen Friedrichs des Großen, die in einem ziemlich unscheinbaren Sarg ruhen. Einziges Zeichen seines Ruhmes war ein verstaubter Lorbeerkranz, der schief neben dem Sarg lag. Vielleicht war er heruntergefallen.
    Zum Schluß besichtigten wir noch die Schatzkammer, bewunderten pflichtgemäß Krone und Zepter, ein paar offenbar bedeutungsvolle Schmuckstücke und einige Folianten – alles hinter Glas und alles ein bißchen verstaubt.
    Endlich stiegen wir wieder ans Tageslicht. Sehr viel wärmer war es draußen zwar auch nicht, aber wenigstens schien die Sonne. Im übrigen hatte ich

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