Mit Fünfen ist man kinderreich
Hunger.
»Wollen wir hier oben etwas essen, oder fahren wir lieber zurück nach Tübingen?« fragte ich Tante Lotti.
Die aber war verschwunden. Ich entdeckte sie vor einer der zahlreichen Souvenirbuden. Sie hatte gerade ein meterlanges Ziehharmonika-Album mit Fotos erstanden und inspizierte nun die anderen Erzeugnisse der Andenkenindustrie. Für Stefanie kaufte sie einen Steingutbecher mit einer Abbildung der Zollernburg. Ein ähnliches Gefäß, nur mit Deckel obendrauf und als Bierkrug ausgeschildert, wollte sie für Rolf mitnehmen. Die Jungs bekamen Fahrradwimpel mit Zollernburg, die Zwillinge Blechtrompeten ohne Zollernburg. Für sich selber kaufte Tante Lotti dann noch einen Porzellanteller, auf dem – angeblich handgemalt und ›Made in Hongkong‹ – das Bildnis des Hohenzollernpaares prangte.
»Und du willst wirklich gar nichts haben?« vergewisserte sie sich noch einmal.
»Nein danke, Tante Lotti, ich wäre höchstens an einem kleinen Andenken aus der Schatzkammer interessiert.«
Ich hatte immer noch Hunger. Tante Lotti prüfte die ausgehängte Speisekarte der Burgschenke, bemängelte die geringe Auswahl und die horrenden Preise und meinte dann: »Ich glaube, wir fahren woanders hin.«
Diesmal nahm ich auch den Bus, denn obwohl ich schon meine bequemsten Treter angezogen hatte, taten mir inzwischen die Füße weh. Tante Lotti, die in Berlin ein Taxi benutzt, wenn sie mehr als fünfhundert Meter zu gehen hat, schien keine Fußbeschwerden zu haben. Hunger übrigens auch nicht, aber dafür war die mitgenommene Keksdose auch fast leer. Die restlichen Krümel bot sie mir großzügig an.
»Ist es sehr weit bis nach Stuttgart?«
»Ungefähr anderthalb Stunden. Warum?«
»Ich würde so gerne mal auf den Fernsehturm gehen. Können wir nicht dort essen? Ich lade dich auch ein.«
Zum Glück ahnte Tante Lotti nicht, worauf sie sich da eingelassen hatte. Die Preise im Turmrestaurant sind noch viel gesalzener als die auf der Zollernburg. Andererseits herrscht dort eine gepflegte Atmosphäre, und die Menüs sind ausgezeichnet. Wir fuhren also nach Stuttgart.
Tante Lotti vergaß Diät, kranken Magen und Gewichtsprobleme, schwelgte in geschmälzten Maultaschen und Früchtebecher, trank Mokka statt Kamillentee und schwärmte während der Rückfahrt von der schwäbischen Küche und nicht von Louis Ferdinand. Davon erzählte sie erst wieder zu Hause. Rolf verzog sich ins Arbeitszimmer, die Jungs verschwanden in die Garage, um ihre Wimpel zu montieren, Stefanie war enttäuscht, weil sie als Mitbringsel eine Krone erwartet hatte, und ich hörte mir für den Rest des Abends noch einmal die nostalgischen Schwärmereien von Tante Lotti an. Ich kam zu der Erkenntnis, daß sie mindestens hundert Jahre zu spät geboren wurde.
Drei Tage später reiste sie wieder ab. Wenzel-Berta atmete auf. »Nu is aber Schluß mit die Kaiser und Könige, jetzt werden endlich die Fenster geputzt. Vor lauter Fürstlichkeiten, wo ich mir immer anhören mußte, bin ich zu gar nichts mehr gekommen!«
Auf der einen Seite war ich ganz froh, daß Tante Lotti samt Heizkissen und Papierlockenwicklern (Sascha hatte behauptet, sie sähe mit diesen Dingern im Haar wie ein Marsmännchen aus) wieder verschwunden war, auf der anderen Seite hatte ich aber ein geduldiges Kindermädchen verloren. Tante Lotti hatte sich rührend um die Zwillinge gekümmert und war es nie müde geworden, Bauklotztürmchen zu bauen oder Papierfiguren zu falten. Kein Wunder also, daß die Mäuse zwei Tage lang wie herrenlose Hunde herumliefen und ihre Spielgefährtin suchten. Dann allerdings gingen sie wieder zur Tagesordnung über.
Ihr Tätigkeitsfeld erstreckte sich nunmehr über das ganze obere Stockwerk, und waren sie früher nur gemeinsam aufgetreten, so trennten sich jetzt ihre Wege. Nicki zeigte Bildungshunger und räumte mit Vorliebe die unteren Fächer des Bücherregals aus. Dort lagen Fachzeitschriften von Papi, die konnte man kaputtreißen. Oder man konnte den Papierkorb umkippen und seinen Inhalt untersuchen. Wenn man Glück hatte, fand man sogar einen Stift, mit dem man die weißen Wände bemalen konnte. Da es sich hierbei vorwiegend um lautlose Tätigkeiten handelte, entdeckte die Mami einen auch nicht so schnell!
Katja interessierte sich mehr für die Küche. Da aber herumgeworfene Topfdeckel oder ein herausgerissener Besteckkasten ziemlich viel Krach machen, konnte ich ihren Streifzügen immer relativ früh ein Ende bereiten.
Wir kauften ein Scherengitter,
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