Mit Haut und Haar (German Edition)
erstrebenswert in dieser Situation.
-4-
Wenige Tage später saß Clarissa mit ihrer besten Freundin Anja in der Küche bei einer Tasse Kaffee zusammen. Sie hatte Anja gerade die ganze Geschichte erzählt und für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Anja war mit einem Mal genauso bleich im Gesicht wie Clarissa seit Tagen. Sie waren schon seit vielen Jahren miteinander befreundet und Anja hätte für die Ehe zwischen Clarissa und Daniel ihre Hand ins Feuer gelegt. Bis vor wenigen Minuten. Sie konnte nicht fassen, was sie da gerade erfahren hatte. Nervös zündete sie sich eine Zigarette an und nippte an ihrem noch viel zu heißen Kaffee, den Clarissa ihr mechanisch hingestellt hatte.
»Unglaublich«, sagte sie, nach einer kleinen Ewigkeit. »Unglaublich.«
Clarissa liefen schon wieder die Tränen über das Gesicht.
»Was soll ich jetzt tun?« fragte sie leise.
»Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen, Clarissa.«
»Ich weiß zum ersten Mal in meinem Leben nicht was ich tun soll. Das ist grauenhaft. Normalerweise weiß ich in jeder Situation was zu tun ist.«
Anja nickte wissend.
»Ich wusste immer was ich tun muss, ich wusste immer was ich wollte. Ich hatte es nie schwer, Entscheidungen zu treffen. Aber jetzt weiß ich nicht was ich machen soll. Wie soll ich mich verhalten?«
»Wie verhält ER sich?« fragte Anja.
»Daniel? Der ist das schlechte Gewissen in Person. Du siehst ja, er sitzt oben im Gästezimmer, hackt auf seinem Computer herum und traut sich nicht runter.«
»Würde ich auch nicht an seiner Stelle. Er wird auch wissen, dass du jetzt mit mir darüber sprichst.«
Clarissa nickte. »Natürlich, was denn sonst? Wenn er erwartet, dass ich jetzt zur Tagesordnung übergehe und so tue als wäre nichts passiert ...«
»Clarissa, ich kann dir nicht raten was du tun solltest. Wenn mir das mit Erik passieren würde, wäre für mich klar, dass ich ihn verlassen würde. Aber ich lebe auch ein völlig anderes Leben als du.«
»Meinst du, davon sollte man solche Entscheidungen abhängig machen?«
Anja nickte. »Vielleicht nicht ganz, aber es hat bestimmt viel damit zu tun. Schau mal, ich habe immer im Beruf gestanden, ich habe keine Kinder. Dein Leben ist anders. Du hast Damian und Charlotte und sie sind in einem schwierigen Alter. Ob sie eine Trennung jetzt zu diesem Zeitpunkt so gut verkraften könnten, das weiß ich nicht. Du hast keinen Job, das heißt, du wärest auf Unterhalt von Daniel angewiesen. Wobei auch das kein Fehler wäre, denn verdient hätte er es. Ich bin mit Erik seit einem Jahr zusammen. Uns verbindet gar nichts. Wir haben keine großartigen, gemeinsamen Erinnerungen, keine gemeinsamen Kinder, überhaupt keine Kinder. Wir haben keine schlechten Zeiten miteinander durchlebt und unsere Beziehung ist viel oberflächlicher als deine Ehe.«
»Es ist doch egal, gerade wenn man so viele Jahre zusammen verbracht hat«, sagte Clarissa, und schnäuzte sich. »Gerade dann, wenn man so vieles miteinander durchgemacht hat, wenn man so vieles hat, was einen verbindet, sollte doch ein solcher Betrug nicht möglich sein, oder?«
»Nicht möglich ist etwas, das nicht existiert, Clarissa.«
»Für mich schon. Ich habe Daniel über alles geliebt, ich habe nicht mal im Traum drüber nachgedacht, ihn durch einen anderen zu ersetzen.«
»Ich glaube, das hat er auch nicht.«
Clarissa sah ihre Freundin erstaunt an.
»Ich weiß, du kannst es nicht fassen, dass ausgerechnet ich so rede, was?« fragte Anja. »Ich bin deine beste Freundin und wahrscheinlich hast du gedacht, ich würde dir raten, ihn sofort zu verlassen und dir einen guten Anwalt empfehlen, was?«
Clarissa nickte.
»Das kann ich nicht tun, Clarissa.«
Nun zündete sich auch Clarissa eine Zigarette an. Eigentlich rauchte sie sehr wenig, aber in den letzten Tagen hatte ihr Konsum stark zugenommen. Anja legte ihr freundschaftlich die Hand auf den Arm.
»Du liebst ihn doch noch, oder?«
Clarissa nickte und wischte sich erneut Tränen aus den Augen.
»Ach Maus«, sagte Anja, und sie streichelte mitfühlend Clarissas Arm. »Männer können so hirnverbrannte Idioten sein.«
»Ich weiß.«
»Clarissa, ich glaube, Daniel wird viel mehr damit zu tun haben, sich selbst zu verzeihen, was er getan hat als dass du ihm verzeihst.«
»Glaubst du, ja?«
Anja nickte. »Ja, das glaube ich. Bei jedem anderen Mann würde ich dir raten, ihn sofort zu verlassen, aber Daniel ist irgendwie anders. Ich kann mich noch gut dran erinnern,
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