Mit Herz und Skalpell
W aren das alle?«, fragte Alexandra, nachdem sie mit Linda fünf Neuaufnahmen angesehen hatte.
»Ja, erst einmal schon. Es ist noch ein Mann über die Notfallaufnahme angekündigt, aber es ist noch nicht ganz klar, wann er kommt und was er genau hat«, erklärte Linda.
»In Ordnung.« Alexandra nickte. »Lust auf einen Kaffee?« Lächelnd deutete sie auf das Schwesternzimmer, in dem gerade niemand saß.
Linda musste schlucken: Das hatten sie schon lange nicht mehr getan. Als Linda noch neu war, gab es nachmittags gelegentlich einen gemeinsamen Kaffee. Aber irgendwann hatten sie damit aufgehört. Nein, nicht irgendwann. Nach München.
»Gern«, brachte Linda schließlich mühsam hervor.
»Schön.« Alexandra lief voran und nahm sofort zwei Tassen aus dem Regal, die sie aus der bereitstehenden Kanne füllte. Dann setzte sie sich an den Tisch. »Willst du Wurzeln schlagen?«, fragte sie grinsend, da Linda noch immer wie versteinert in der Tür stand.
»Nein, natürlich nicht.« Lindas Wangen wurden heiß. Bitte nicht rot werden . . . Aber natürlich war ihr Flehen vergebens.
»Der Fall von Frau Lampert klingt äußerst spannend«, begann Alexandra, nachdem Linda ihr gegenüber Platz genommen hatte. »Du bist dir hoffentlich bewusst, dass uns morgen eine komplizierte Operation erwartet.«
Linda nestelte an ihrem Kittel herum. »Ehrlich gesagt habe ich keine ganz genaue Vorstellung davon, wie die Operation funktioniert.«
Alexandra lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und nahm einen Schluck Kaffee. »Wie auch? Du hast das ja noch nie gemacht.« Ihr Gesicht und auch ihre Stimme wirkten ruhig und wohlwollend – ganz anders als sonst, wenn man ihr gegenüber zugeben musste, dass man etwas nicht genau wusste. Sie schlug entspannt die Beine übereinander. »Lies dir am besten heute noch mal die genauen Abläufe durch. Dann bist du morgen gut vorbereitet«, meinte sie wie nebenbei.
Linda blieb die Luft weg. »Ich darf dir assistieren?«
Alexandra lächelte sanft. Ihr Blick blieb an Lindas Augen hängen, wurde tiefer, bedeutungsschwerer. »Selbstverständlich. Wenn nicht du, wer dann?« Mit einem Ruck leerte sie ihre Tasse und erhob sich. »Ich muss leider wieder los.«
Verdattert blieb Linda zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie noch nichts von ihrem Kaffee getrunken hatte. Was war das denn nun schon wieder gewesen? So viel Nähe hatte es nicht mehr gegeben, seit . . . Linda versuchte ihre Gedanken zu stoppen, doch es war zu spät. Schon spürte sie Alexandras weiche Lippen wieder auf ihren, und ihr Herz begann wild zu klopfen.
Doch was gerade geschehen war, nahm der Erinnerung ein wenig von ihrem Schmerz. Vielleicht war es tatsächlich nicht aussichtslos . . .
Linda nahm eine Zeitschrift, die jemand auf dem Tisch hatte liegen lassen, in die Hand und begann zu blättern. Sie musste sich ablenken. Ehekrach bei irgendwelchen Promis, die sie ohnehin nicht kannte. Die neuste und angeblich beste Diät aller Zeiten. Sie überflog die Zeilen, auch wenn der Inhalt sie nicht wirklich interessierte. Es war besser, als sich in Gedanken an Küsse mit Oberärztinnen zu verlieren.
Da klingelte ihr Telefon. Als wolle sich Alexandra nicht einfach aus Lindas Gedächtnis verbannen lassen, leuchtete ihr Name auf dem Display auf. Dabei waren erst wenige Minuten vergangen, seit Alexandra die Station verlassen hatte.
»Hallo«, begrüßte Linda sie. »Ich hätte nicht gedacht, so schnell wieder von dir zu hören.«
Ein Räuspern drang an ihr Ohr. »Ich habe noch etwas vergessen. Also . . .« Alexandra zögerte. »Ich habe zuhause . . .« Sie brach ab.
Hätte es sich nicht um Alexandra gehandelt, wäre Linda jede Wette eingegangen, dass da jemand mächtig nervös war.
Alexandra setzte erneut an: »Zuhause habe ich noch einen sehr guten Operationsatlas, in dem die morgige Operation hervorragend erklärt wird. Ich dachte . . .« Wieder eine Pause. »Wenn du Lust und Zeit hast, könntest du heute Abend bei mir vorbeikommen, und wir gehen das noch einmal zusammen durch.«
Lindas Herzschlag setzte für mehrere Augenblicke aus und ihr Atem gleich mit. Hatte sie das richtig gehört? Hatte Alexandra sie gerade allen Ernstes zu sich nach Hause eingeladen? Sie musste sich einmal kräftig kneifen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte.
»Es ist nur ein Angebot«, sagte Alexandra, als Linda schwieg. »Du kannst es auch ausschlagen. Ich wäre dir nicht böse.«
Hastig fiel Linda ihr ins Wort: »Nein, ich komme
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