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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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meisterhaften Portale und eine fantastische Vierungskuppel, die ein mit Säulenbögen gegliederter Tambour trägt. Ohne weiteres könnte die heitere, spielerische Gestaltung des gesamten Vierungsbereiches einem mittelalterlichen Vorfahren des kreativen Gaudi zugeschrieben werden - ein Werk von starker Ausdruckskraft und magnetischer Anziehung. Jockl parkt an der Nordfassade und nimmt sich mit seinen vielfarbigen Aufklebern davor aus wie ein buntes Kieselsteinchen vor orangeockernem Fels. Trotzdem wirkt die Kirche nicht allzu übermächtig und fügt sich wunderbar in die Proportionen der Stadt. Toro lebt die Gemächlichkeit eines kleinen Provinzstädtchens mit aller dazugehörenden Vertrautheit, bar jeder Anonymität. Hier atmen wir noch kühle Luft schattiger Gassen und klatschen in die hinterlassenen Pfützen der morgendlichen Straßenreinigung. Aus einem kleinen Supermarkt schleppen wir in zwei Säcken die für unser Überleben wichtigen Aktions-Ölsardinen, Dosenspinat und Äpfel und vertilgen nach dem gestrigen menülosen Abend mit Heißhunger unmäßige Mengen krümeligen Mandelgebäcks, eine besondere Spezialität dieser Region. In einem Café nahe des Uhrturms, Grenzmarke zwischen Alt- und Neustadt, arbeiten wir eine neue Tagesroute nach Tordesillas aus, die wir mit einem Umweg über das nördliche San Cebrián de Mazote bereichern wollen.
    Gleich hinter Toro pflügt eine Pfeilgerade hinein in die Provinz Valladolid durch eine langweilige Ebene aus abgeernteten Getreidefeldern, die irgendwo weit draußen von kahlen Mondhügeln begrenzt werden. In fahlem Blau hängt der Himmel über einer müden Aquarellwäßrigkeit der Landschaft, in der Jockl wie ein versehentlicher Klecks bunter Ölfarben glänzt. Endlich hebt eine erste Hügelbarriere die Ebene aus ihrer Monotonie und Castillo, Kirchen und Häuser von Tiedra geben unseren Blicken Halt. Nach einer kurzen Pause schlagen wir einen flotten Bogen über die Autobahn hinweg nach San Cebrián, wo uns ausgerechnet in der Einschicht eines dünnbesiedelten Landstrichs Spaniens monumentalstes Kirchenwerk mozarabischer Baukunst in seinen Bann zieht. Zwei französischen Jakobspilgern zu Rad verdanken wir die Besichtigung dieses herausragenden Juwels. Dank ihrer spanischen Sprachkenntnisse organisieren sie die Schlüssel zum versperrten Tor, und so werden wir, weitab kultureller Zentren, berauschte Besucher eines Ortes arabisch beseelter Architektur. Von außen eine ziemlich eckige Angelegenheit mit verschachteltem Chor, schmucklosen Mauern und schlichter Glockenwand; innen entfliehen die Blicke sofort in schwindelnde Höhen bis unters Dach, dessen dunkle Balken unter weißen Ornamenten in herrlichem Kontrast zur gedämpften Helligkeit des Raums stehen. Von dort oben wandern die Blicke zu den beiden, mit Hufeisenbögen überspannten, Säulenreihen herab, die das Hauptschiff von den Seitenschiffen trennen. Erstaunlich, in welchem Maße allein eine landläufig unübliche Bogenform, ein anders gesetzter Schwung einen Raum verändern kann. Letztlich verdankt die Kirche dem klaren und ungekünstelten Nebeneinader eben dieser auf schlanken Säulen ruhenden Hufeisenbögen ihre ungeheure Ausstrahlung. Ein absoluter Glücksfall für uns - die »Entdeckung« schlechthin! Die anwesende Mesnerin, eine gesprächige Frau mittleren Alters, freut sich über unsere Begeisterung gleichermaßen wie über unseren Jockl, den sie ungeniert unter die Lupe nimmt und uns mit Fragen überhäuft. Als wir durch das totenstille Dorf in die Kargheit der Umgebung hinauslärmen, winkt sie uns mitten auf der Straße stehend, zusammen mit den beiden Franzosen, noch lange nach.
    Während der zwölf Kilometer nach Torrelobatón wiederholt sich das Gewitterwolkenschauspiel von gestern. Unter ersten schweren Blitzen besichtigen wir das Castillo von Torrelobatón, ein weithin sichtbares, geometrisches Machtwerk über rechteckigen Grundriß, mit Rundtürmen an drei Ecken und einem gewaltigen Burgfried an der vierten Ecke. Die Burg stammt zwar aus dem 15. Jahrhundert, verblüfft jedoch durch solides, unversehrtes Mauerwerk, als sei sie erst vor wenigen Jahren errichtet worden. Nicht umsonst gilt sie als die besterhaltenste Burg Kastiliens.
    In der Hoffnung, dem Wetter noch ein Schnippchen schlagen zu können, treiben wir uns eilig zur Weiterfahrt. Vergebens - plötzliche Windböen, die die trockene Erde von den Feldern reißen und uns wild entgegenschleudern, sowie unheilvolle Zackennetze von Blitzen zwingen zur

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