Mit Jockl nach Santiago
einengende Häuslichkeit getrost noch für einige Zeit aufs Abstellgleis schieben können.
18 Kilometer nach Quillan nehmen wir unseren liebgewordenen »Besichtigungsalltag« mit dem Besuch der Festung Puivert wieder auf. Als Katharerburg wurde Puivert mancher Metzelei ausgesetzt. Dementsprechend angeschlagen und ihrer einstigen Wehrhaftigkeit beraubt sieht sie ihren Besuchern entgegen. Wären nicht die rechteckigen Türme, die aus wie angenagten Mauern weithin sichtbar von der Existenz der Burg künden, so würde einen nur der ideal gelegene Hügel auf die Idee eines möglichen Standortes für ein streitbares Château bringen. Dessenungeachtet lohnt ein Spaziergang hinauf zur Burg allein schon wegen der guten Aussicht ins hügelige Umland, das immer heimatlichere Formen annimmt. Hinter weiten Obstgärten mit Bäumen, die schwer an der Last ihrer reifen Früchte tragen, liegen große Gehöfte in einer Landschaft, die wohl vor hundert Jahren nicht viel anders ausgesehen haben mag, einschließlich der unverkennbaren Stallgerüche, die uns immer wieder mal um die Nasen wehen.
Sollte nun über den Wiesen neben Zitronenfaltern, Tagpfauenaugen und Bläulingen das exotische Exemplar eines thailändischen »Attacus Atlas« unsere verwunderte Aufmerksamkeit auf sich lenken, so handelt es sich bestimmt um einen ausgebüxten Flatterer aus einer nahen Schmetterlingsfarm. Bei Col del Teil weisen Schmetterlingssymbole den Weg in ein kleines Tal direkt zu einer Schmetterlingsfarm, die ein junges Paar betreibt, das sich redlich müht, hier ein kleines Paradies zu schaffen. Umgeben von einem grünenden, blühenden Garten mit Hasen, Hühnern und Maultieren steht ein altes, in ein Kletterpflanzenkleid gehülltes Haus mit niedrigen Räumen im Erdgeschoß und kündet vom »einfachen« Leben auf dem Lande. Man kann es wohl als einen Versuch zweier zivilisationsmüder Menschen ansehen, einen dornigen Weg der Selbstverwirklichung zu gehen, denn wirklich in »Einfachheit« zu leben, ist mit Sicherheit aufwendiger als man denkt. Die Frau, ein graziles Wesen, malt und produziert einiges an Kunsthandwerk, das sie im Haus zum Verkauf anbietet; ihr Gatte, ein schlanker, freundlicher Typ versteht sich auf die Zucht der »papillons«, für die er in einer Art Treibhaus mit schwülem Tropenklima und allerlei Gewächs eine Ersatzheimat simuliert. Dort gedeihen die Schmetterlinge so prächtig, wie manche davon auch aussehen. Mit wahren Farbexplosionen auf den geschuppten Flügeln tanzen die Träger dieser abstrakten Kunstwerke über unsere Köpfe hinweg oder laben sich an geschnittenem Obst, das in Tellern für sie bereitsteht. Bei einigen Arten fallt es schwer, ihre enorme Flügelspannweite noch als die eines Schmetterlings einzuordnen, bei wieder anderen lassen ausladende, bizarre Flügelformen an der Flugtauglichkeit zweifeln; doch das ändert alles nichts an ihrem geradezu märchenhaften Aussehen. Obendrein war es für uns eine dampfbadähnliche Abwechslung in unserem einseitigen Festungs- und Museumsprogramm.
Bereits das nächste Ziel an diesem Nachmittag lautet Montsegur - ein Inbegriff in der kampfreichen Geschichte der Katharer. Dazu schlagen wir uns bei Belesta wieder mitten hinein ins Gebirge und folgen zu Anfang dem Lauf des Flusses Hers durch abseitige Täler mit einfachen Ortschaften. Geruch frisch geschnittenen Holzes aus den Sägewerken würzt die Luft und in den Obstbaumalleen hängt der Duft reifer Äpfel und formiert sich in meiner blühenden Fantasie sofort zu dicken Apfelstrudeln, Schüsseln von Kompotten und Blechen warmen Apfelkuchens. Einen dieser knackigen, rotbackigen Äpfel muß ich mir einfach stibitzen, noch dazu ein herrlich säuerlicher, der im Oberstübchen nach dem ersten Biß zu Apfelmus verarbeitet wird, mit reichlich Zimt versteht sich und dann Löffel für Löffel meinen Gaumen verwöhnt.
Schluß mit diesen schwelgerischen Gedanken und Konzentration auf den bevorstehenden Blick zur Feste Montsegur, die auch bald zwischen den Bergen vom »Pog« zu uns herunterspitzt, wo sie in himmlischen 1207 Metern Höhe thront. Die Festung galt als Keimzelle des Katharer-Widerstandes und war letzte Bastion der sich verschanzenden »Ketzer«, die sich erst nach zehnmonatiger Belagerung ihrem tödlichem Schicksal ergaben, das für mehr als 200 ihrer Anhänger den Scheiterhaufen vorsah. Damit war die Abenddämmerung dieses standhaft verteidigten Glaubens eingeläutet. Doch das Bollwerk von Montsegur strahlt noch heute
Weitere Kostenlose Bücher