Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
Jahr nicht gelesen?«, wollte Mom wissen. »Melody liebt Hörbücher.«
»Ich bemühe mich, jedem Kind unvoreingenommen und unbeeinflusst von anderen Lehrern zu begegnen. Alle Unterlagen befinden sich irgendwo in einer Kiste.«
»Vielleicht sollten Sie diese Kiste suchen«, stieß meine Mutter zwischen zusammengepressten Kiefern hervor.
»Nein, auf keinen Fall!«, gab Mrs Billups zurück.
»Vielleicht ist das Ihr Problem!«, antwortete Mom mit einem Grinsen. Dann legte sie den Kopf schief und drehte sich zum CD-Player um. »Oh, noch eine Sache. Darf ich die wundervolle CD sehen, die Sie abspielen?«
»Natürlich«, sagte Mrs Billups und lächelte ein wenig. »Die Kinder lieben sie.«
»Tun sie das?«, fragte Mom.
Die Lehrerin holte die CD aus dem Gerät.
Twinkle, twinkle, Ruhe.
Willy seufzte laut.
Mom nahm die CD, kramte einen Moment in ihrer Handtasche, gab Mrs Billups einen Fünf-Dollar-Schein und brach die CD flink entzwei.
»Diese Musik war eine außergewöhnlich grausame Strafe!«
Freddy und Maria jubelten.
Gloria flüsterte: »Danke.«
Einen Moment lang tat mir Mrs Billups fast leid. Sie sah so durcheinander aus. Sie kapierte es einfach nicht.
Mom ging zum Waschbecken in unserem Raum, drehte den Warmwasserhahn auf und hielt einen Stapel Papiertücher in den Strahl. Sie kam zu mir zurück und wischte mir sanft mit dem warmen, durchtränkten Bündel übers Gesicht. Nichts hat je so beruhigend gewirkt. Dann bürstete sie mein Haar, richtete die Gurte und Schnallen an meinem Rollstuhl, umarmte mich kurz und ging nach Hause.
Nach den Osterferien kündigte Mrs Billups ihren Job, sodass wir bis zum Ende des Schuljahres bei einer Reihe von Vertretungslehrern landeten. Wahrscheinlich hatte sie angenommen, dass es einfach sei, mit Menschen zu arbeiten, die dümmer waren als sie.
Da lag sie falsch.
Kapitel 8
Für lange Zeit gab es nur mich, meine Mom, meinen Dad und meinen Goldfisch Ollie. Ich war fünf Jahre alt, als ich ihn bekam, und ich hatte ihn für fast zwei Jahre, bevor er starb. Wahrscheinlich ist das alt für einen Goldfisch. Außer mir kannte niemand Ollies Namen, aber das ist okay. Ollie war der Preis von einem Jahrmarkt, zu dem mein Dad mich mitgenommen hatte; ich glaube, Ollie hatte ein schlimmeres Leben als ich.
Er lebte in einem kleinen Goldfischglas auf dem Tisch in meinem Zimmer. Der Boden der Glaskugel war mit winzigen rosa Steinchen bedeckt und ein künstlicher Plastikbaumstamm steckte zwischen den Steinen. Wahrscheinlich sollte es wie eine Unterwasserwelt aussehen, aber ich glaube nicht, dass es Seen oder Meere mit Steinen in dieser Farbe gibt.
Ollie schwamm den ganzen Tag in dieser kleinen Kugel im Kreis, durch den künstlichen Baumstamm hindurch und dann wieder im Kreis. Er schwamm immer in dieselbe Richtung. Nur wenn Mom morgens und abends ein paar Körnchen Fischfutter in seine Kugel fallen ließ, änderte er seine Richtung. Ich sah zu, wie er das Futter verschlang, dann herauskackte und dann wieder im Kreis und wieder im Kreis schwamm.
Wenigstens komme ich mal raus, wenn wir zum Supermarkt fahren oder wenn ich in die Schule gehe. Ollie schwamm den ganzen Tag einfach nur im Kreis. Ich fragte mich, ob Fische überhaupt jemals schlafen. Denn egal, wann ich mitten in der Nacht aufwachte, Ollie schwamm immer noch umher, sein kleiner Mund öffnete und schloss sich, als würde er etwas sagen wollen.
Eines Tages, als ich ungefähr sieben war, sprang Ollie aus seiner Glaskugel. Ich hatte Musik im Radio gehört – Mom hatte endlich herausgefunden, dass ich den Countrymusik-Sender mochte –, und ich hatte gute Laune. Die Musik klang orange und gelblich, und der schwache Duft von Zitronen schien mich zu umgeben. Ich fühlte mich richtig entspannt, während ich Ollie zusah, wie er seine üblichen Runden in der Kugel drehte.
Aber plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, tauchte Ollie zum Boden seines Goldfischglases, sauste nach oben und warf sich aus der Kugel. Er landete auf dem Tisch. Er schnappte nach Luft und zappelte, und ich bin sicher, er war erstaunt, dass er nicht atmen konnte. Seine Augen traten hervor und seine Kiemen an der Seite pulsierten angestrengt.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ohne Wasser würde er sterben – und zwar schnell. Also schrie ich. Mom war unten oder holte vielleicht von draußen die Post herein, jedenfalls kam sie nicht gleich. Ich schrie wieder. Lauter. Ich brüllte. Ich plärrte. Ich kreischte. Ollie zappelte und schnappte weiter nach Luft
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