Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
und sah dabei immer verzweifelter aus. Ollie brauchte Wasser.
Ich brüllte noch einmal, aber Mom kam nicht herbeigerannt. Wo steckte sie nur? Ich wusste, ich musste etwas unternehmen. Also streckte ich mich rüber zum Tisch und machte meinen Arm so lang, wie ich konnte. Ich kam gerade so an Ollies Glaskugel heran. Ich dachte, wenn ich den Fisch nass machen könnte, wenigstens ein kleines bisschen, könnte ich ihn vielleicht retten. Ich hing meine Finger über den Rand der Glaskugel und zog. Wasser spritzte in alle Richtungen – über den ganzen Tisch, den Teppich, mich und Ollie. Für ein oder zwei Sekunden schien er ein bisschen weniger zu zappeln.
Und ich heulte weiter. Schließlich hörte ich, wie meine Mutter die Treppe hinaufpolterte. Als sie durch die Tür trat, warf sie einen Blick auf die Sauerei und den sterbenden Goldfisch und rief: »Melody! Was hast du getan? Warum hast du das Goldfischglas umgeworfen? Weißt du nicht, dass ein Fisch nicht ohne Wasser leben kann?«
Natürlich wusste ich das. Ich bin nicht doof. Warum glaubt sie, habe ich nach ihr gekreischt und gerufen?
Sie lief schleunigst hinüber zu dem Schlamassel, hob Ollie auf und legte ihn sanft zurück in seine Kugel. Dann rannte sie ins Bad, und ich hörte, wie sie den Wasserhahn aufdrehte. Aber ich wusste, dass es zu spät war.
Sei es, weil er zu lange außerhalb der Kugel gewesen war, sei es, weil das Badezimmerwasser nicht die richtige Temperatur gehabt hatte – Ollie überlebte es nicht.
Mom kam zurück und schimpfte noch einmal mit mir. »Dein Goldfisch hat es nicht geschafft, Melody. Ich verstehe das nicht. Warum tust du dem armen kleinen Fisch so etwas an? Er war glücklich in seiner kleinen Welt.«
Ich fragte mich, ob Ollie letzten Endes doch nicht so glücklich gewesen war. Vielleicht hatte er die Nase voll von dieser Kugel und diesem Baumstamm und dem Kreiseziehen. Vielleicht hatte er es einfach nicht mehr ertragen können.
Ich jedenfalls fühle mich manchmal so.
Es gab keine Möglichkeit, wie ich Mom hätte erklären können, was passiert war. Ich hatte
echt
versucht, Ollie das Leben zu retten. Ich drehte meinen Kopf von ihr weg. Sie war wütend, und ich war es auch. Wenn sie nicht so langsam gewesen wäre, hätte Ollie es vielleicht geschafft. Ich wollte nicht, dass sie mich weinen sah.
Seufzend wischte sie die Sauerei auf und ließ mich mit meiner Musik und einem leeren Fleck auf meinem Tisch allein. Die Farben waren verschwunden.
Es dauerte lange, bis ich bereit für ein neues Haustier war. Aber an meinem achten Geburtstag brachte mein Vater einen großen Karton ins Haus. Er schien Schwierigkeiten zu haben, ihn festzuhalten. Als er ihn vor mir auf dem Boden absetzte, schoss blitzartig ein zappelndes, goldfarbenes Bündel Frohsinn heraus. Ein Welpe! Ein Golden-Retriever-Welpe! Ich kreischte und strampelte vor Freude. Ein Welpe!
Das tollpatschige kleine Hündchen raste durch das Zimmer und schnüffelte in jeder Ecke. Ich sah jeder seiner Bewegungen zu und hatte mich sofort in ihn verliebt. Nachdem er jedes Tischbein und jedes Möbelstück untersucht hatte, hielt der Welpe an, versicherte sich, dass wir alle zusahen, hockte sich hin und pinkelte an Ort und Stelle auf den Teppich! Mom brüllte – aber nur ein bisschen. Da wusste die Hündin, dass sie das Sagen hatte.
Sie untersuchte Dads nackte Zehen, hielt sich aber von Mom fern, die versuchte, den Fleck auf dem Teppich mit Papiertüchern und diesem Sprühzeug, das sie in der Küche benutzt, zu entfernen. Schließlich umkreiste das Hündchen meinen Rollstuhl mehrmals, als würde es versuchen dahinterzukommen, was das für ein Ding war. Die Hündin schnüffelte an ihm, schnüffelte an meinen Beinen und Füßen, sah mich kurz an und sprang dann auf meinen Schoß, als hätte sie das schon eine Million Mal gemacht. Ich wagte kaum zu atmen, um sie nicht zu stören. Dann, wau, wau, wau, drehte sie sich dreimal um sich selbst und machte es sich bequem. Ich glaube, sie gab einen zufriedenen Seufzer von sich. Ich jedenfalls tat das. Ich streichelte ihren weichen Rücken und ihren Kopf, so sanft wie ich konnte.
Ich habe ihr ihren Namen gegeben. Mom und Dad schlugen so blöde Namen wie Flocke und Kaffee vor, aber in dem Moment, in dem ich sie sah, wusste ich schon, wie sie heißen sollte. Ich zeigte auf eine Schüssel, die auf dem Tisch stand und in der meine liebsten Lieblingskaramellbonbons lagen – Toffees. Sie sind weich genug, dass sie in meinem Mund schmelzen
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