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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Draper
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mit ihrer professionellsten Lehrerstimme. »Wir schaffen es nur nicht, sie vom Schreien abzuhalten. Sie hat die ganze Klasse in Aufruhr versetzt.«
    Ich sah meine Mutter am anderen Ende der Leitung bildlich vor mir, wie sie zu verstehen versuchte, was los war. Glücklicherweise hatte sie ihren freien Tag. Ich wusste, dass sie in ein paar Minuten da sein würde. Also beruhigte ich mich nach und nach und war schließlich still. Auch die anderen Kinder beruhigten sich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
    Old MacDonald
lief immer noch.
    Meine Mutter war schneller da, als ich es für möglich gehalten hätte. Als ich ihre Jeans und den schmutzigen Pulli sah, wurde mir klar, dass sie alles stehen und liegen gelassen hatte und ins Auto gesprungen war. Schnell lief sie zu mir und fragte, was nicht stimmte.
    Ich holte ein paarmal tief und zitternd Luft, dann zeigte ich auf das Alphabet auf meiner Kommunikationstafel und stieß ein paar frustrierte Kreischlaute aus.
    »Es geht ums Alphabet?«, fragte meine Mutter.
    Ja . Erst zeigte und dann schlug ich mit der Faust auf die Antwort.
    Sie drehte sich zu Mrs Billups um. »Woran haben Sie gearbeitet, als das ganze Geschrei anfing?«
    Mrs Billups antwortete in diesem überheblichen Tonfall, den Lehrer in hübschen roten Kostümen anschlagen, wenn sie mit Müttern in dreckigen Pullis sprechen: »Wir haben natürlich das Alphabet wiederholt. Den Laut des Buchstaben ›B‹, wenn ich mich recht erinnere. Ich beginne immer mit den Grundlagen. Diese Kinder brauchen ständige Wiederholungen, da sie Informationen nicht wie der Rest von uns behalten.«
    Meine Mutter war im Bilde. »Also sind Sie das ABC durchgegangen?«
    »Richtig.«
    »Es ist Februar.«
    »Wie bitte?«
    »Die Schule hat im August angefangen. Sie sind in sechs Monaten nicht weiter gekommen als bis zum Buchstaben ›B‹?« Mom ballte und öffnete ihre Fäuste mehrmals hintereinander. Ich habe noch nie gesehen, dass meine Mutter irgendwo draufgehauen hätte, aber immer, wenn ich sie bei dieser Bewegung beobachte, frage ich mich, ob sie es gleich tun wird.
    »Für wen halten Sie sich, dass Sie meinen, mir vorschreiben zu können, wie ich meinen Unterricht zu gestalten habe?«, sagte die Lehrerin zornig.
    »Und für wen halten Sie sich, dass Sie meinen, diese Kinder mit hirnlosen Übungen zu Tode langweilen zu müssen?«, fauchte meine Mutter zurück.
    »Wie können Sie es wagen!«, japste die Lehrerin.
    »Für meine Tochter wage ich alles«, antwortete Mom mit gefährlicher Stimme, »und auch für den Rest dieser Kinder!«
    »Sie verstehen nicht –«, begann die Lehrerin.
    Mom unterbrach sie. »Nein, Mrs Billups,
Sie
sind diejenige, die hier nicht versteht!« Mom sah aus, als würde sie sich bemühen, Ruhe zu bewahren, denn dann sagte sie: »Hören Sie. Haben Sie sich jemals gesagt: ›Wenn diese blöde Werbung noch einmal im Fernsehen läuft, muss ich schreien‹?«
    Mrs Billups nickte langsam.
    »Oder: ›Wenn ich noch fünf Minuten länger in diesem Stau stehe, explodiere ich‹?«
    »Ja, ich glaube schon«, gab sie zu.
    »Nun ja, ich glaube, genau das ist mit Melody passiert. Sie hat sich gesagt: ›Wenn ich noch einmal diese Buchstaben wiederholen muss, schreie ich.‹ Und das hat sie getan. Ich kann ihr das nun wirklich nicht übel nehmen. Können Sie das?«
    Mrs Billups sah von meiner Mutter zu mir. »Wahrscheinlich nicht, jetzt, wo Sie es so erklärt haben«, sagte Mrs Billups schließlich, und ihre Stimme klang nun genauso ruhig wie die meiner Mutter.
    »Melody kennt das Alphabet, alle Laut-Buchstaben und sie erkennt
Hunderte
von Wörtern. Sie kann Zahlen im Kopf addieren und subtrahieren. All das haben wir doch bei unserem letzten Elterngespräch besprochen, oder?«
    Ich konnte sehen, wie meine Mutter versuchte, ihre Wut zu bremsen.
    »Ich dachte, Sie übertreiben«, sagte die Lehrerin. »Eltern sind nicht immer realistisch, wenn es um diese Kinder geht.«
    »Wenn Sie sie noch einmal ›diese Kinder‹ nennen, werde
ich
schreien«, warnte meine Mutter.
    »Melody sind nun einmal geistige und körperliche Grenzen gesetzt«, wandte Mrs Billups ein und wollte Mom wohl in ihre Schranken weisen. »Sie müssen lernen, das zu akzeptieren.«
    Und das Feuer war zurück. »Melody kann nicht laufen. Melody kann nicht sprechen. Aber sie ist
extrem
intelligent! Und
das
sollten
Sie
besser akzeptieren!«, spie Mom hervor.
    Die Lehrerin wich zwei, drei Zentimeter zurück.
    »Haben Sie die Berichte über sie aus dem letzten

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