Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
unglaublicher Entschlossenheit darauf konzentriert, den Pfad zwischen unseren beiden Häusern entlangzumarschieren und dann die vorderen Treppenstufen auf Händen und Füßen zu erklimmen. Sie trägt ihre dicke Winterjacke und den Hut des Tages – ein blaues Strohgebilde, das schief und krumm ist, weil sie sich so oft draufgesetzt hat. Den armen Karli schleift sie natürlich hinter sich her.
»Didi!«, schreit sie, als sie endlich die oberste Stufe erreicht hat. Es erstaunt mich immer noch, wie leicht ihr alles fällt.
Ich berühre Mrs V. am Ärmel ihres Kleides, während ich über ihre Frage nachdenke. »Freiheit« , tippe ich und zeige auf Penny. »Freiheit.«
Mrs V. nickt. Sie weiß, was ich meine.
»Was für ein herrlicher Tag!«, sagt Mom und atmet tief ein. »Glaubt ihr, der Winter liegt hinter uns?«
»Es wird wieder kälter« , tippe ich.
»Du hast recht, aber es ist trotzdem ein schöner Vorausblick«, sagt Mom, als sie den Reißverschluss von Pennys Jacke öffnet. »Wie kommt die Lerngruppe voran?«
Toffee legt sich unten vor die Treppe, um auszuruhen. Ich schwöre, der Hund sieht aus, als würde er lächeln.
»Gut« , sage ich mithilfe meines Medi-Talkers.
»Violet, du bist bewundernswert«, sagt Mom. »Die Zeit und Mühe, die du investiert hast, um sie zu unterrichten und sie auf die Prüfung vorzubereiten und …« Sie bricht ab, blinzelt heftig. »Du musst ihr
Tausende
von Worten beigebracht haben.«
»Niemanden scheint es zu überraschen, dass Penny Tausende von Worten aufschnappt und lernt«, antwortet Mrs V. mit einem Schulterzucken. »Melody ist nicht anders.«
Mom nickt zustimmend. »Ich weiß, du hast recht, aber … aber … es ist einfach so viel
schwieriger
für Melody.«
»Nein, es ist schwieriger für
uns
. Wir müssen herausfinden, was in ihrem Kopf vor sich geht.«
Ich habe es satt, dass sie über mich reden, als wäre ich in einem anderen Raum. Ich drehe die Lautstärke an meiner Maschine auf. »Wie wäre es mit Keksen?«
»Kekse!«, wiederholt Penny.
Mrs V. steht auf. »Alles klar, Penny-Schatz. Ich hole uns Süßigkeiten!« Bevor sie ins Haus geht, dreht sie sich zu Mom um und sagt leise: »Miz Melody hier wird immer einen speziellen Platz in meinem Herzen haben.«
»Herzrhythmusstörung!« , tippe ich.
Da müssen beide lachen.
Mrs V. kommt kurz darauf mit einem Teller voller warmer Schokoladenkekse und zweimal Milch in roten, mit Disney-Prinzessinnen dekorierten Schnabeltassen zurück. Ich gebe es ungerne zu, aber es fällt mir leichter, aus einer Schnabeltasse zu trinken.
»Kekse!«, schreit Penny. Sie langt nach dem Teller, aber Mom hält ihren Arm fest.
Mrs V. gibt Mom zwei Kekse auf einem Küchentuch. Mom pustet auf einen und reicht ihn dann Penny, die sich daran macht, das ganze Teil auf einmal in den Mund zu stopfen.
»Seht euch mein kleines Penny-Ferkel an«, sagt Mom lachend.
Mrs V. bricht meinen Keks in Stücke und legt dann eins in meinen Mund. Obwohl ich Karamell lieber mag, müssen diese Kekse im Schokoladenhimmel gemacht sein. Ich trinke die Schlucke kalter Milch, die mir Mrs V. gibt. Kekse lassen sich so gut mit Milch runterspülen – ich muss nicht einmal versuchen zu kauen. Ich hätte gerne genug Kontrolle über meinen Körper, um selbstständig essen zu können. Aber das steht auf meiner Liste von Dingen, die ich mir wünsche – zusammen mit laufen und alleine aufs Klo gehen und – ach ja – fliegen.
Mrs V. unterbricht meine Gedanken durch eine Frage. »Welcher Kontinent produziert die meisten Kakaobohnen, denen wir diese Schokolade verdanken?«
»Afrika!« , tippe ich.
Sie nickt und lässt mich noch einen Schluck Milch trinken. »Und welcher Bundesstaat produziert die meiste Milch?«
»Kalifornien« , antworte ich.
»Ich glaube, du bist so weit, Melody!«, verkündet Mrs V.
Mom streckt sich zu mir herüber und streichelt mir über die Wange. »Du wirst es ihnen am Montag zeigen!«
»Und dann?«, tippe ich.
»Dann lässt du dich als Präsidentschaftskandidatin aufstellen!«, unterbricht Mrs V.
»Na klar« , haue ich auf die Tasten.
In diesem Moment biegt Dad in unsere Auffahrt ein. Oh Mann, unser großes, altes Auto könnte eine Fahrt durch die Waschanlage dringend brauchen!
»Anscheinend hat Chuck heute früher Schluss gemacht«, sagt Mom erfreut. »Vielleicht können wir früh zu Abend essen.«
Dad steigt aus dem Auto, streckt sich und winkt uns zu.
Pennys Gesicht leuchtet auf. »Daddy!«, ruft sie. Sie springt auf
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