Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
Entwicklung verlief, wie vermutlich bei vielen anderen Kindern dieser Erde auch, bei diesem Entwicklungsschritt positiv, sie mündete in eine Lernerfahrung: Eine Zeitlang zeigte sie jedes Mal, wenn sie einen Bogen um dieses Möbelstück machte, auf die Ecke und sagte: »Böse Kante.« Nun wären bereits an dieser Stelle aber auch Fehlentwicklungen möglich gewesen. Meine Tochter hätte sich auch an den folgenden Tagen immer wieder an der gleichen Kante stoßen können oder sie hätte »verängstigt« nur noch auf meinen Arm gewollt, damit ihr das nicht noch einmal passiert. Bei beiden Varianten wäre also das wünschenswerte Lernergebnis ausgeblieben. Das Wort »verängstigt« verweist wieder auf ein Zuviel: Angst, die einengt und nur noch den totalen Rückzug von der Welt duldet. Wir werden uns dieser Angst später noch intensiver zuwenden. An dieser Stelle ist es mir wichtig, die Anfänge und den Entstehungsprozess von Angst aufzeigen.
Nun sind spitze Kanten, heiße Herdplatten oder wacklige, zu hohe Tische zwar »harte Realitäten«, deren Handhabung aber in der Regel von Kindern gelernt wird. Schwieriger wird es, mit der Härte in sozialen Beziehungen umzugehen. So muss ein Kind z. B. lernen, dass Mutter oder Vater zwar (hoffentlich!) meist zugewandt ist, aber auch nicht immer Zeit hat, mit dem Kind zu spielen, oder manchmal auch keine Lust hat, mit ihm zu schmusen oder es auf den Arm zu nehmen. Dies ist bereits eine etwas schwierigere Lernaufgabe, und wie bei allen Lernvorgängen spielt das Alter, in dem die Bewältigung dieser Aufgabe ansteht, eine wichtige Rolle. Der optimale Zeitpunkt ist dann gegeben, wenn die Aufgabe weder zu schwer noch zu leicht ist. Eine gewisse Herausforderung, die nach ihrer Bewältigung mit einem Gefühl von Stolz belohnt wird, ist notwendig, damit das Ergebnis sich auch in den Tiefen der Seele verankern kann. Im ersten Lebensjahr wird der Säugling nur kürzere Zeitspannen elterlicher Abwesenheit verkraften können, während ein Kleinkind von drei bis vier Jahren vielleicht bereits stolz erzählt, was es alles schon alleine kann. Meine Tochter bewältigte diesen Lernschritt, indem sie mir morgens, wenn ich zu ihr ans Bett kam, eine Puppe entgegenhielt, die ich – vor ihr – begrüßen und in den Arm nehmen musste. Es war gewissermaßen der Vorbote, an dem sie testete, wie meine Stimmung an dem Tag war. Hatte ich es eilig und wenig Zeit, musste sie sich innerlich darauf einstellen und etwas davor »schützen«. Freute ich mich jedoch, die Puppe wiederzusehen und erkundigte mich ausführlich danach, wie diese denn wohl geschlafen habe, dann wusste meine Tochter, dass der kommende Tag ein schöner würde und sie ganz entspannt sein konnte.
Dass dies nicht einfach nur banaler Kinderkram ist, zeigt die folgende Geschichte einer Sekretärin, die zu mir in die Praxis kam, weil sie unter den Wutanfällen ihres Chefs litt. Er habe es offensichtlich immer auf sie abgesehen, obwohl noch mehrere andere Damen im Raum seien. Der Chef sei zwar nicht immer so aufbrausend, aber oftmals betrete sie am Morgen schon mit großerAngst das Büro. Ich erzählte ihr die Geschichte von meiner Tochter und der Puppe und bat sie, genau zu beobachten, woran sie bereits vor seinem Wutausbruch erkennen könne, wie der Chef heute »drauf« sei: Wie schnell und fest ist sein Auftritt, wie hört sich das Türöffnen im einen und im anderen Fall an, wie ist sein Blick, seine Körperhaltung heute? Sie solle genau beobachten, um im Vorhinein zu wissen, ob sie sich heute schützen müsse oder ob es an diesem Tag »ungefährlich« sei. Nachdem ihr dies gelungen war – der erste Schritt heraus aus der Opferrolle –, bestand der nächste Schritt darin, an »gefährlichen« Tagen zu lernen, sich unsichtbar zu machen oder – wie man im Volksmund sagt – »aus der Schusslinie zu gehen«. Dazu boten sich verschiedene Möglichkeiten: sich eifrig in einer Akte zu vergraben, in einer Schublade der hintersten Ecke etwas zu suchen usw. Ähnliche Konstellationen finden sich auch in Partnerschaften, bei denen sich manchmal ein Wüterich und ein Angsthase gefunden zu haben scheinen. Mit dem ersten Schritt der genauen Beobachtung – etwa: Wie ist die Stimmlage, wie zieht er/sie die Augenbrauen hoch? – wird eine anfängliche Distanzierung erreicht. Mehr dazu in einem späteren Kapitel.
Kehren wir zu dem Kind zurück, das lernen muss, mit den sozialen Härten des Lebens umgehen zu können. Die Lernerfahrung, dass wichtige
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