Mitch - Herz im Dunkeln
musterte Becca einen Moment. Er wusste genau, was sie meinte. Er hatte selbst schon daran gedacht, und zwar viele Male. Was, wenn er einfach nicht mehr die Wahrheit herauszufinden versuchte? Wenn er, was immer er in der Vergangenheit getan hatte, wer auch immer er gewesen war, einfach ruhen ließ? Wenn er ganz von vorn anfing, ein neues Leben …
„Das käme einem völligen Neubeginn gleich“, fuhr Becca fort. „Das könnte ein Segen sein. Wenn du wirklich glaubst, schreckliche Dinge getan zu haben …“
„Aus deinem Mund klingt das verlockend“, sagte er leise. „Aber ich bin nun mal hier. Ich kann Wyatt City nicht verlassen, ohne nicht wenigstens mit Jarell gesprochen zu haben.“
„Ah“, sagte sie triumphierend. „Na bitte! Du hast eben gerade formuliert, wie ich mich fühle.“
Nach einer ganzen Weile nickte er langsam. „Na schön. Ich besorge uns Zimmer für heute Nacht.“
Er war entschlossen, auf Distanz zu bleiben. Becca nickte ebenfalls. Sie ließ ihn diese Schlacht gewinnen.
Vorläufig.
Mitch schaltete noch zweimal durchs Fernsehprogramm, aber das kam ihm vor wie eine einsame Patience. Nichts Neues oder Interessantes.
Ein Werbespot eines Maklers. Eine Late-Night-Show mit irgendeiner Schauspielerin mit einem ausgezehrten, knochigen Körper – absolut unattraktiv im Vergleich zu Beccas sanften Rundungen.
Verglichen mit Beccas vollen Brüsten und straffen Schenkeln und …
Mitch schaltete um und verdrängte die Vorstellung von Becca, die nackt in seinen Armen lag.
Auf dem Movie Channel lief eine romantische Komödie über einen Mann, der nach nur einem kurzen Blick auf eine junge Frau wusste, dass das Schicksal sie für ihn bestimmt hatte. Nach dem, was Mitch aus den wenigen Minuten wusste, die er vorhin zugeschaut hatte, wollte der Held das Herz der Heldin mit allen Mitteln erobern. Selbst vor Betrug schreckte er nicht zurück. Er belog sie, was seinen Namen anging, was seine Identität betraf, seinen Beruf, seine Vergangenheit.
Angewidert schaltete Mitch den Apparat aus. Er wusste genau, wie der Film enden würde. Die Liebe würde triumphieren, die Heldin würde dem Helden alles verzeihen.
Nur funktionierte das im richtigen Leben nicht. Im wirklichen Leben beging man pausenlos Unrecht, tat einander weh und fügte sich irreparablen Schaden zu.
Und die meisten Leute bekamen keine zweite Chance, egal bei was.
Er sank auf dem Bett zurück und starrte an die Decke. Er wusste sehr wohl, dass er sich glücklich schätzen konnte. Ihm hatte sich eine zweite Chance eröffnet – die Chance, all das Unrecht hinter sich zu lassen, das er jemals begangen hatte. Eine Chance, noch einmal ganz von vorn anzufangen und ein gutes Leben zu führen, in dem er das Richtige tat.
Aber was machte er daraus? Er lag hier und hielt es vor Unruhe kaum noch aus. Er sehnte sich danach, den Innenhof des Motels zu durchqueren und an die Tür von Zimmer 214 zu klopfen.
Beccas Zimmer.
Sie hatte auch diese Nacht mit ihm verbringen wollen. Das hatte sie ihm gesagt. Doch er hatte sie zurückgewiesen, weil er immer noch von der Vorstellung besessen war, sie vor ihm schützen zu müssen.
Also hatte er zwei Zimmer besorgt, ihr eine gute Nacht gewünscht und ausgiebig geduscht. Kalt. Anschließend hatte er sich rasiert, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. Schließlich würde er die Nacht allein hier in diesem Zimmer verbringen.
Und Becca allein in ihrem. Auf der anderen Seite des Motelkomplexes.
Dummerweise konnte er an nichts anderes denken als an ihre weichen sinnlichen Lippen und daran, wie wundervoll ihr Körper sich an seinen schmiegte. An das Funkeln in ihren Augen, das zufriedene Lächeln, nachdem sie … nachdem sie …
Himmel! Er musste sich unbedingt von ihr fernhalten, und wenn es ihm noch so schwerfiel.
Mitch verließ das Bett und lief im Zimmer auf und ab. Er ging zum Fernseher, wo sein Zimmerschlüssel lag. Nachdem er den Schlüssel eingesteckt hatte, verließ er das Zimmer.
Zimmer 214 befand sich auf der anderen Seite des Swimmingpools, im ersten Stock. Er fand das Zimmer, ohne die Fenster zählen zu müssen – er wusste längst, wo es war. Hinter den schweren Vorhängen brannte noch Licht. Sie war wach.
Okay. Er würde rübergehen, an ihre Tür klopfen und sie fragen, ob sie morgen mit ihm im frühstücken wollte.
Mitch ging durch den Innenhof und stieg die Treppe hinauf. Aus Zimmer 214 drang Radiomusik. Becca sang dazu. Sie hatte eine schöne, musikalische Stimme.
Er lauschte an der
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