Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
berichtet, dass Ärzte das Geschehen von der medizinisch-technischen Seite beleuchten und kommentieren und dabei die existenzielle Betroffenheit ihrer Patientinnen ausblenden. So zum Beispiel, wenn nach einer Totgeburt von «hygienischer Entsorgung» die Rede ist oder wenn nach einer Abtreibung der Fötus als «bereits vergammelt» bezeichnet wird. Besonders Frauenärzte standen dafür lange Zeit unter heftiger Kritik (Amendt 1985; Sieg 1988). In unserem Modell gesprochen: Spielführer in der Mannschaft des Arztes sind der Naturwissenschaftler und der Medizintechniker ; der situative Gehalt verlangt aber auch und nicht zuletzt den menschlichen Beistand .
Situationsadäquate Aufstellungen
Bedeutet denn all dies, dass es zu jeder gegebenen Situation eine passende, adäquate innere Aufstellung gibt? Nicht nur eine einzige, sie soll ja auch, dem doppelten Stimmigkeitsgebot folgend, mit dem Menschen in Einklang stehen, der in der Situation zu handeln oder sich zu äußern hat. Und dieser wiederum wird die Situation seiner eigenen Identität entsprechend auffassen und definieren (s. S. 328 und 358ff.). Und er wird ein Verständnis von seiner Rolle in dieser Situation mitbringen. Insofern können wir weder empirisch erwarten noch normativ als Ideal verkünden, dass die objektiv gegebenen Bestimmungsstücke einer Situation in jedem Fall ein bestimmtes Kommunikationsverhalten mit sich bringen (sollten). Aber prinzipiell lohnt es sich für jeden Kommunikator, wenn er seine Ziele erreichen und zum Gelingen des Ganzen beitragen will, den Gehalt einer Situation genau zu erfassen, um den darin enthaltenen Forderungen durch eine geeignete innere Aufstellung entsprechen zu können.
Diesen Grundgedanken, dass eine Situation «Forderungen enthält» und eine «entsprechende innere Mannschaftsaufstellung» herausfordert, möchte ich an folgendem Beispiel illustrieren:
Becker und Jäger (1994) haben einen Leitfaden für Führungskräfte entwickelt, wie sie Teambesprechungen zu wichtigen (heiklen, brisanten) Themen leiten können. Ihr Kerngedanke: Bei solchen Auseinandersetzungen sollten vier Phasen unterschieden werden:
1. Initialphase
3. Integrationsphase
2. Aktionsphase
4. Umsetzungsphase
Das Verhalten des Leiters sollte in den verschiedenen Phasen sehr unterschiedlich sein: Damit Verhalten auch atmosphärisch wirksam wird, sollten auch die innere Verfassung und die Ausstrahlung phasentypisch unterschiedlich sein; das heißt in unserem Modell nichts anderes, als dass die innere Aufstellung des Leiters in Passung zur jeweiligen Phase zu bringen ist – jedenfalls idealerweise. Schauen wir uns genauer an, worum es in den einzelnen Phasen geht, worauf es ankommt und wie demzufolge die innere Aufstellung aussehen sollte.
Initialphase: Zu Beginn braucht es jemanden, der die Anwesenden willkommen heißt, sie in die Situation (und ihre Hintergründe) einführt und der das Thema nicht nur benennt, sondern so einführt, dass er zu einem Mitdenken und Mitfühlen einlädt und «anstiftet». Wenn der Leiter für diese Phase einen freundlichen Gastgeber , einen präzisen Situationsklärer und einen suggestiven Anstifter für das Thema mitbringt, dann hat er «alle beisammen» (s. Abb. 86).
Dies alles klingt fast banal. Wenn wir aber mit ansehen, wie lieblos und luschig viele Sitzungen eröffnet werden, ohne gestaltende Kraft, ohne gemeinschaftsbildende Ansprache, ohne thematische Prägnanz, dann dürfen wir uns nicht über den chaotischen oder blockierten Verlauf mancher Debatte wundern.
Ich persönlich habe noch einen Wächter der Andacht in meinem Inneren Team: Er wacht darüber, dass in dieser Phase alles mucksmäuschenstill ist: keine Seitengespräche, kein Auspacken und Ordnen der Unterlagen, kein Kommen und Gehen. Beim kleinsten Anzeichen von Abgelenktheit unterbreche ich die Einführung und warte mit ruhendem Blick auf den Urheber.
Aktionsphase: Die Auseinandersetzung kommt in Gang, hier kann es hoch hergehen. Und das soll es auch. In dieser Phase soll ein wertschätzender, zunächst nur aufnehmender , zu Beiträgen ermutigender Moderator zum Spielführer werden, während andere, die auf das Spielfeld drängen, zurückzuhalten sind, zum Beispiel ein Ordnungshüter («So geht es nicht, meine Herren! In meiner Rednerliste kommen zunächst Herr A, B, C, Y und Z!»), ein Besänftiger («Aber, aber! Bitte bleiben Sie sachlich!») und ein selbst Engagierter («Das kann ich so nicht stehen lassen, jetzt muss ich auch mal was
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