Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
naturnahe Triebinstanz (Es) und eine zivilisations- und kulturnahe Moralinstanz (Über-Ich) in ständiger Auseinandersetzung sind, unter Vermittlung einer realitätsnahen übergeordneten Instanz (Ich). Besonders in der von Fritz und Laura Perls begründeten Gestalttherapie ist es gang und gäbe, einzelne Teile der Persönlichkeit aus dem Gesamt herauszutrennen, ihnen einen Stuhl zuzuweisen, auf den sich der Klient setzen kann, um sich mit diesem Teil vorübergehend einmal ganz zu identifizieren. Auch können sich zwei innere Gegenspieler miteinander unterhalten, indem der Klient jeweils die Stühle wechselt. Besonders beliebt ist die Auseinandersetzung zwischen «Topdog» und «Underdog» (s. S. 177).
In meiner allerersten Gestaltgruppensitzung (bei Hilarion Petzold, wohl 1977) nahm ich auf dem «heißen Stuhl» Platz, der jeweils für den Klienten reserviert war. Der Meister hatte davon gesprochen, auf diesem Stuhl könne man ein wenig spielen («play») oder auch seelisch hart arbeiten («work»), möglich wäre auch ein Mittelding («plork»). Ich sagte: «Mir ist, als müsste ich wohl mal drankommen – obwohl mich aktuell gar nichts bedrückt oder beschäftigt. So wie beim Zahnarzt: Wenn man auf dem Behandlungsstuhl sitzt, sind alle Schmerzen weg!»
Darauf der Meister: «Wer sagt denn das in dir, du müsstest mal drankommen?» Die Frage überraschte mich («Wer in mir??»), ich überlegte. Das war doch offenbar jemand in mir, der fand, es könne mir guttun (oder es könne vielleicht sogar nötig sein), mich einmal mit mir selbst zu konfrontieren. Wer sagt denn so was? So etwas sagen doch Psychologen! Also: «Das sagt mein Psychologe in mir!»
Ich war gespannt, ob er diese Antwort gelten lassen würde. Er besorgte sogleich einen zweiten Stuhl und sagte, ich solle mich mit «meinem Psychologen» einmal unterhalten. Was der für mich, so fügte er hinzu, wohl nützlich finden würde? «Vielleicht ein Loch füllen? Oder eine Wurzelbehandlung?» Ich musste lachen, weil der Meister meine Analogie vom Zahnarzt aufgriff und nun seinerseits auf seelische Inhalte bezog. – Aus «play» und «plork» wurde nach wenigen Minuten «work», und ich war erstaunt, was alles noch in mir steckte. Vor allem zeigte sich, dass ein Liebeslüstling («Ich möchte mich so gern mal wieder verlieben!») noch an der kurzen Kette des gescheiterten Ex-Ehemanns hing, der sich bisher vor der Trauerarbeit gedrückt hatte: Der Trauerkloß war, so würde ich heute sagen, in meinem inneren Ensemble ein ungern gesehener Gast gewesen, ein verdrängter Außenseiter, der aus dem Untergrund heraus sein Daseinsrecht einklagte und zum Beispiel das Neu-Verlieben erfolgreich verhinderte.
An der Methode gefiel mir, dass sie mich zu mir selbst brachte und dass sie so undogmatisch, flexibel und elegant einfach aufgriff, was ich selber an Worten und Wortbildern hervorbrachte. Und dass sie mit Humor vereinbar war! So war die Angst vor dem Zahnarzt also unnötig. – Später lernte ich Gestalttherapie bei Ruth Cohn näher kennen. Und wenn mir in meinem Traum ein bissiger Hund zu schaffen machte, dann hieß es in der therapeutischen Sitzung: «Sei mal der Hund!» – getreu der Annahme, dass alles, was die Seele an (Traum-) Bildern entwirft, ein verborgener Teil ihrer selbst ist oder zumindest sein kann. Sollte ich, wollte ich, der ich ein freundlicher, friedlicher, höflicher (ein wenig «fried-höflicher») junger Mann war, diese «schlafenden Hunde» in mir wecken? In C. G. Jungs Persönlichkeitslehre (1975) spielt der Begriff des «Schattens» eine große Rolle: Das sind die Teile der Persönlichkeit, die zwar zum ganzen Menschen dazugehören, aber im Leben nie so richtig dabeisein dürfen – sei es, weil sie als moralisch minderwertig verdammt wurden, sei es, dass sie lebensgeschichtlich ohne Entwicklungschance waren und sich nun schüchtern im Hintergrund der inneren Bühne auf- und zurückhalten. Für Jung war es eine geläufige Vorstellung, dass diese Teilaspekte der Seele ein Eigenleben im Untergrund führen und sich zum Beispiel in Traumbildern zeigen, aber auch in Sagen, Mythen und Märchen. Insbesondere galt sein Interesse den «Archetypen», wir könnten sagen, der «inneren Urhorde» des Menschen, die allen Individuen aufgrund ihrer Gattungsgeschichte gemein ist.
Also noch einmal gefragt: Sollte ich, wollte ich diesen bissigen Hund, der sich aus dem Schattenreich meiner Seele gemeldet hatte, «integrieren», das heißt, als einen
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