Mithgar 10 - Die schwarze Flut
sich seine Lungen und versuchten zu atmen, wollten Luft suchen und sie durch die zusammengepressten Lippen saugen. Er wusste, er konnte nicht länger durchhalten. Nein!, befahl er sich wütend, und mit aller Macht, mit aller Energie, stieß er sich ein letztes Mal verzweifelt nach oben. Er kam in die liebliche Nachtluft, und seine Lungen pumpten wie ein Blasebalg, denn er war in einem jener dunklen Strudel herausgekommen, wo sich noch kein Eis gebildet hatte. Unter gewaltiger Anstrengung kroch er auf den Felsen und schmiegte sich, nach Luft schnappend, an den kalten Stein. Er spürte seine Hände nicht mehr, und sein Körper wurde von einem unkontrollierbaren Zittern geschüttelt. Er fror... er fror bitterlich, und er wusste, dass er im Begriff war, zu sterben. Dennoch wollte er sich mit aller Macht dazu zwingen, aufzustehen, aber es gelang ihm nur, sich auf die Seite zu wälzen. So lag er dann, keuchend, die Wange an den harten, kalten Stein gepresst, und konnte nur die Augen so bewegen, wie er es wollte. Vielleicht hundert Meter entfernt, an der Furt, sah er zwischen den düster aufragenden Dornwänden einen Kreis von Fackeln. Eine weitere Fackel jedoch war viel näher, und sie schoss hin und her. Nun kam sie näher und wurde in die Höhe gereckt. Es war Danner! Er suchte die Strudel ab. Tuck versuchte zu sprechen, zu rufen, aber seine Stimme war nur ein mattes Krächzen, das im Rauschen des Flusses unterging. Noch einmal schrie Tuck, lauter diesmal, wenngleich immer noch schwach. Danner fuhr herum und hielt seine Fackel empor, und nun sah er den Wurrling bewegungslos auf dem Felsen liegen; er rannte auf den Strudel zu und hielt an der Kante des Eises.
»Tuck!«, rief er. »Ich habe dich gefunden! Du lebst!« Seine Stimme klang, als würde er weinen. »He, ho!«, schrie er in Richtung der anderen, und sein Schrei hallte laut zwischen den Dornwänden. »Hierher! Schnell! Bringt ein Seil mit.« Er drehte sich wieder zu Tuck um. »Wir werfen dir ein Seil hinüber und ziehen dich raus.«
»Ich kann meine Hände nicht benutzen«, brachte Tuck heraus. »Sie gehorchen mir nicht mehr. Ich kann mich nicht einmal aufsetzen.« Und Tuck stellte fest, dass er weinte. »Keine Sorge, Freund«, sagte Danner. »Ich komme und hol dich.« Er begann, seine Kleidung abzulegen, wobei er zornig vor sich hin murmelte. »Hirnlose Bande! Versuchen diese Scholle wieder umzudrehen.« Andere Jungbokker eilten nun herbei und schauten erstaunt, als sie Tuck erblickten. »Ich hab's euch doch gesagt!«, fauchte Danner. »Sucht die Strudel ab! Ein paar bleiben jetzt bei mir. Die Übrigen suchen nach Tarpi... und dem Mann. Wer hat das Seil?« Sie standen eine Weile mit offenem Mund da, bis Patrel Befehle zu brüllen begann. Vier Wurrlinge blieben bei Danner und Patrel, während die anderen mit der Suche anfingen.
Danner band sich das Tau um den Leib, während Patrel und die übrigen vier es fest in die Hand nahmen. Dann sprang der Jungbokker ins Wasser, wobei er vor Schock und Kälteschmerz aufschrie, aber rasch hatte ihn die Strö mung zu Tucks Felsen getragen. Er kletterte auf den Stein, zähneklappernd und unkontrolliert zitternd. Er zog ein wenig Seil nach, setzte Tuck aufrecht und schlang es mithilfe eines großen Laufknotens um ihn. »So, Bokker.« Er bibberte vor Kälte. »Jetzt gehen wir rein. Die Strömung wird uns dann hinaustragen.«
Tuck war keine Hilfe, aber es gelang Danner, sie beide in den bitterkalten Strom zu bugsieren, und Tuck verlor das Bewusstsein. Während Patrel und zwei seiner Helfer das Seil festhielten und zugleich mehr Leine gaben, hielt Danner Tuck über Wasser, und die schnelle Strömung trug sie flussabwärts zum unteren Rand der kalten Wanne, wo Argo und Delber warteten und zuerst Tuck und danach Danner aufs Eis zogen. Halb trugen, halb schleiften sie ihn sodann eiligst zurück zum Feuer, wo sie ihm die Kleidung vom Leib zogen, ihn wärmten und in zwei Decken wickelten, die sie vom Bettzeug hinter den Sätteln der Ponys holten. Auch Danner kam humpelnd und vor Kälte stöhnend ans Feuer, Arbin half ihm dabei. Er wurde ebenfalls erst gewärmt und dann in Decken gehüllt. Tuck kam teilweise zu sich, man verabreichte beiden heißen Tee, wobei Patrel die Tasse an Tucks Mund hielt und dem Jungbokker das Gebräu einflößte.
Einige Zeit verging, und Tuck saß inzwischen aufrecht. Seine Hände begannen, wie von Nadeln gepiekst zu jucken, als schließlich die anderen Bokker von ihrer Suche zurückkehrten. Tuck blickte
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