Mithgar 10 - Die schwarze Flut
doch immer noch kommen mehr aus dem Dusterschlund hinter ihnen. Sie marschieren auf breiter Front, vielleicht eine Meile breit. Die meisten scheinen Rukhs zu sein, dazwischen schreiten die größeren Hlöks, während jeder Hundertste ein berittener Ghul ist und die Vulgs sich vorn und an den Flanken tummeln.« Aurion wurde aschfahl im Gesicht, als er diese bitteren Zahlen vernahm, denn seine eigenen Kräfte waren dürftig im Vergleich zur Horde. »Und gibt es noch weitere?«
»Nein, Majestät«, erwiderte Patrel. »Nur kommen immer mehr von ihnen aus dem Dunkel.« Bum, bum! Bum, bum!
Auf den Trommelschlag antwortete ein mitreißender Ruf valonischer Hörner; Tuck blickte vom Wall hinab und sah, wie die Armee der Feste Challerain hinausmarschierte, um auf den Hügeln Stellung zu beziehen: voraus Pikeniere, hinter ihnen Bogenschützen, dann folgten Infanteristen mit Hellebarden, Schwertern und Streitäxten und am Ende Reiter aus Valon mit spitzen Lanzen.
»Aber Majestät«, protestierte Patrel, »die Feinde sind zu zahlreich und wir zu wenige für eine offene Schlacht. Wir verfügen nicht über ein Zehntel ihrer Stärke. Es wäre ein sinnloses Opfer, unsere Leute gegen diese gewaltige Schar antreten zu lassen.«
»Pah!«, knurrte Aurion. »Wenn ich sie nur sehen könnte, dann würde ich wissen, ob ich hart zuschlagen oder mich zurückziehen soll. Lieber würde ich wütend in ihre Reihen einfallen, als wie ein in die Enge getriebener Dachs zu kämpfen.« Er wandte sich fragend an Gildor.
»Ich glaube, Hauptmann Patrel hat recht, Majestät«, sagte der Elf und steckte sein flammendes Schwert zurück in die Scheide. Doch Aurion erwiderte nichts, und Tuck wurde von Verzweiflung ergriffen, als er die riesige Schlachtformation unausweichlich durch die Hügel auf die Truppen des Königs zumarschieren sah. Aber auch Tuck sagte nichts, wenngleich in seinen Augen Tränen der Qual standen.
Bum! Bum! Bum! Bum! Immer näher kam der Feind. Vidron schritt die Rampe empor und stellte sich neben den König. Endlich kam die Horde in Sichtweite der Menschen, und Aurion Rotaug erbleichte, als er die Schar in ihrer vollen Stärke sah. Stöhnend gab der Hochkönig Vidron ein Zeichen. »Lasst zum Rückzug blasen. Es sind zu viele für eine offene Schlacht.« Vidron hob sein schwarzes Ochsenhorn an die Lippen, und ein gebieterischer Ruf durchschnitt die Luft: Haan taa-ruu! Haan taa-ruu! (Kehrt um! Kehrt um!) Aus der Truppe unten kam ein schwaches Hornsignal zurück. »Majestät«, knurrte Vidron, »Hagan stellt den Befehl infrage.« Bum! Bum! Bum! Bum!
»Ach, Vidron, Eure valonischen Hauptleute sind tapfer, doch Tapferkeit allein reicht nicht aus, die Horde zu besiegen. Erst mit meinem gesammelten Heer kann ich auch nur daran denken, eine solche Macht herauszufordern, und mein Heer ist noch weit im Süden.« König Aurion sah müde aus. »Wir haben keine andere Wahl, als dem Plan des Kriegsrats zur Verteidigung der Mauern zu folgen.«
Haan taa-ruu! Haan taa-ruu!, forderte Vidrons schwarzes Horn. Langsam zog sich die Armee der Feste Challerain zurück, bis sie schließlich wieder innerhalb des ersten Walls war und die Tore sich hinter ihr schlossen.
Bum! Bum! Bum! Bum! Noch näher rückte die Horde, eine schwarze Flut. Nun erkannten die scharfen Wurrlingsaugen, dass es unter den Hlöks welche gab, die mit Peitschen aus Lederriemen auf die Rukhs einschlugen und sie vorwärts trieben. Bum! Bum! Bum! Noch immer ergoss sich die riesige Horde aus der Dunkelheit, und manche trugen Standarten mit dem Siegel Modrus - ein brennender Ring, Scharlachrot auf Schwarz, das Zeichen des Sonnentodes. Und in der Nähe der Standarten ritten jeweils Ghule auf Helrössern und trieben die Schar an. Sie rückten bis knapp außerhalb der Reichweite von Bogen an die erste Mauer heran, und auch mit Wurfgeschossen waren sie nicht zu erreichen.
Mit einem grässlichen Heulen, ähnlich dem eines Vulgs, ließ ein Ghul vorn in der Mitte die Hand in die Höhe schnellen und reckte den Säbel empor, und dasselbe Zeichen gaben alle anderen Ghule. Ein raues Blöken aus den Hörnern der Rukhs erklang, misstönend und heiser, und die Reihen der Horde teilten sich, wie eine Strömung, die sich um einen großen Felsen teilt, um nach Osten und Westen abzubiegen und dann wieder nach Süden zu fließen. Erneut zerriss das markerschütternde Geheul der Ghule die Luft, und als wären sie von einer lästigen Pflicht entbunden worden, entfernten sich die Vulgs von der Horde der
Weitere Kostenlose Bücher