Mithgar 15 - Drachenbann
entkam.
Doch da tauchte Kiesel neben ihr auf und feuerte eine seiner silbernen Schleuderkugeln ab …
Riatha erreichte die Spitze des Glockenturms. Sie drängte sich an den schweigenden, eisernen Glocken vorbei und trat unter den Bogen, von dem aus man auf den Gletscher hinausblicken konnte. Sie ließ ihren Blick schweifen und sah…
Ein Licht? Auf dem Gletscher? In der Ferne schimmerte es sanft auf dem weißen Eis. Schwach, fast wie ein Glühwürmchen, aber dennoch, es war ein Schein. Und es bewegte sich nicht, sondern schien regungslos auf dem Eis zu verharren.
Riatha merkte sich die Stelle. Ihr Herz hämmerte, als sie von dem Turm hinabeilte, durch den Saal der Verehrung hindurch. Erneut trat sie auf den Gletscher hinaus und suchte sich den Weg an den Spalten und Rissen vorbei. Sie lief über das Eisfeld, bis sie an die Stelle kam, die sie vom Glockenturm aus gesehen hatte.
Hier war das Eis nahezu durchsichtig, ein goldener Schimmer lag auf dem Gletscher. Seine Quelle war tief, sehr tief in seinem Inneren verborgen. Riatha blickte zum Kloster hinauf. Diese Stelle befand sich ganz in der Nähe des Ortes, an dem sie tagsüber gesucht hatte. Sicher war es hier, wo Urus hinabgestürzt war, jedenfalls so genau, wie ich es sagen kann. Aber ich war damals näher am Kloster, und … der Fluss! Der Gletscher fließt, bewegt sich! Urus ist dort gefallen, aber in den Jahreszeiten danach hat sich das Eis fortbewegt!
Riathas Herz hämmerte, und es drängte sie, etwas zu tun, irgendetwas. Nur was? Auch wenn dieses Licht wirklich die Stelle markierte, an der Urus hinabgestürzt war, seine Leiche lag dennoch Hunderte von Metern in der Tiefe, für immer gefangen in diesem durchscheinenden Abgrund. Nein! Nicht für immer! Nur so lange, bis das Eis die gewaltige Nordßanke erreicht. Wenn das geschieht, mein Urus, dann werde ich dort sein, um dich in Empfang zu nehmen und dafür zu sorgen, dass du ein angemessenes Begräbnis erhältst.
Riatha weinte, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie kniete sich auf das Eis und legte ihre Hände auf den goldenen Schimmer, suchte … Linderung, Trost. Während dessen bebte ab und zu die Welt, wurde der Gletscher von den Nachwehen von Kalgalaths Untergang erschüttert.
Der Morgen graute bereits, als Riatha zum Kloster zurückkehrte. Sie hatte die Stelle sorgfältig markiert, an der das goldene Licht schimmerte, dessen weiches Glühen an ihrem Herzen zerrte.
Sie ritt noch am selben Tag davon, ließ das Kloster hinter sich, dessen eiserne Glocken das letzte Mal bei jenem starken Beben erklungen waren, bei dem auch Urus den Tod gefunden hatte.
Wieder verstrichen Jahreszeiten um Jahreszeiten. Dann kam der Tag, an dem Rael ihre Weissagung verkündete, und Riatha machte sich auf den Weg, sie Kiesel und Petal zu verkünden, den beiden Wurrlingen, die grimmig auf dieses Omen reagierten, aber gelobten, ihre Erstgeborenen durch die Zeiten hindurch anzuweisen.
Mehr Jahre vergingen, der Winterkrieg verheerte das Land, und mit ihm der Dusterschlund. Riatha war zu jener Zeit in Riamon und gesellte sich zu den dortigen Lian-Wächtern, um erneut gegen Modrus Handlanger zu Felde zu ziehen.
Viele Todessermone wehten von den Schlachtfeldern kalt durch die Seelen der Elfen, vor allem von der Schlacht um Kregyn. Aber überall fochten die Überlebenden weiter, riskierten den Tod, obschon sie ihre Leben ungeachtet ihrer Lebensalter gerade erst begannen. Es nicht zu tun hätte bedeutet, sich Modrus und Gyphons ewiger Verdammnis zu unterwerfen.
Als dieser Krieg schließlich endete, kehrte die Elfe erneut ins Ardental zurück.
Jahreszeiten und Jahre versanken in der Vergangenheit, bis die Kunde sie erreichte, dass Tomlin, Kiesel, gestorben war, zwei Jahre, bevor vier Dekaden nach dem Ende des Winterkrieges verstrichen waren. Riatha reiste zu den Waldsenken, spielte ihre Harfe und besang an Tomlins Grab seine Taten. Sie erneuerte den Glauben mit Worten, die vor langen Jahren bei einer anderen Totenwache gesprochen worden waren: nämlich bei der Versammlung der Baeron auf der Lichtung im Großwald, wo Tomlin und sie von Urus Taten gesprochen und gesungen hatten. Damals hatte Tomlin angemerkt, er würde sich sehr freuen, sollte jemand nach seinem Tod von seinen Taten singen. Also stand Riatha an seiner Grabstätte, zupfte die schimmernden Saiten ihrer silbernen Harfe und ließ ihre klare Stimme in die laue Luft emporsteigen und sang Tomlins Seele in den Himmel.
Petal nahm sie anschließend
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