Mittagessen Nebensache
Stolzes.«
»Hm, ich glaube, ich verstehe. Sie litt darunter, daß ihr Vater sie wie ein Meißner Porzellanpüppchen behandelte!«
»So ungefähr. Und nach Annes Worten zu schließen, scheint der Colonel ja nun überhaupt den Kopf verloren zu haben.«
»Das kann man wohl sagen. Es hat mich gestern halb wahnsinnig gemacht. Aber was sollte ich denn tun? Ihn hinauswerfen? Der arme alte Knabe, schließlich ist Anne alles, was er noch hat. Nachdem sein Sohn gefallen ist, konzentriert er seine ganze Liebe auf sie.«
»Ich weiß, und er tut mir darum auch schrecklich leid. Aber so was ist immer eine Katastrophe für diejenigen, auf die sich diese Liebe konzentriert. Anne ist einfach darunter erstickt. Und sie mußte unglücklicherweise auch noch den Eindruck gewinnen, daß du mit ihm völlig einig gehst. Jedenfalls hat sie unglaublich darunter gelitten, daß du ihr überhaupt nicht zu Hilfe kamst.«
»Daß ich ihr nicht zu Hilfe kam? Ja, entweder mußte ich den Mund halten, oder ich wäre explodiert, und damit hätte ich auch niemandem geholfen. Also schien es für mich das einzig Richtige, keinen Ton zu sagen. Ich dachte mir, wenn erst das Kind da ist, wird alles von selbst wieder in Ordnung kommen.«
»Ich glaube gern, daß es dir nicht leicht gefallen ist, soviel Geduld zu zeigen. Unglücklicherweise wäre es anders besser gewesen. Sie wollte das Gefühl haben, daß du zu ihr stehst.«
Später, nachdem Christopher mit dem Essen fertig und von Paul ins Bett gebracht worden war, gingen wir hinein und unterhielten uns bei einem verspäteten Mittagessen weiter über die Geschichte. Tim fand vor allem den Gedanken peinigend, daß Anne nun ganz allein war und er überhaupt keine Ahnung hatte, wo sie steckte.
»Ich würde mir an deiner Stelle keine Sorgen machen«, versuchte ich ihn aufzumuntern. »Schließlich ist die Klinik mit dem Arzt direkt um die Ecke. Es ist wirklich so das beste. Und ihr Alleinsein — das dauert nicht ewig. Du kennst doch Anne. Kannst du dich noch erinnern, wie sie damals ihren Vater einfach sitzenließ, um dich zu heiraten? Sie läßt sich zunächst eine ganze Menge gefallen, aber dann plötzlich gibt es einen Kurzschluß bei ihr, und da wird sie rücksichtslos. Aber dieser Zustand dauert nicht lange bei ihr an. Auch diesmal nicht.«
»Natürlich erinnere ich mich an damals, aber schließlich ist das doch kein Vergleich, denn damals hat sie mich doch nicht so behandelt.«
»Nein, damals war ihr Vater an der Reihe. Aber vielleicht entsinnst du dich auch, wie sie dann weich wurde und ihm einen Brief schrieb, in dem sie ihm alles gestand, und wie Larry und ich Miss Adams zu überreden suchten, ihm den Brief erst nach eurer Trauung auszuhändigen? Schließlich wurden Larry und ich noch zu einer ungesetzlichen Handlung getrieben, weil Tantchen zu pflichtbewußt war. Nun, und diesmal wird es genauso kommen. Es war ja gar nicht die richtige Anne, die heute morgen davongelaufen ist. Sie war zornig und verzweifelt und fürchtete sich ganz einfach davor, daß es nun ewig so weitergehen würde zwischen euch dreien.«
»Aber diese lange Fahrt, Susan. Ihr Wagen ist doch inzwischen reichlich klapperig.«
»Sie hat mir versprochen, mich heute Abend anzurufen. Ich werde dir dann gleich Nachricht geben. Morgen wird sie sich bestimmt schon danach sehnen, dich bei sich zu haben. Paul und Sam werden sich um deine Farm kümmern, und du fährst sofort zu ihr hin und bleibst bei ihr. Aber einen Rat möchte ich dir geben: Laß um Himmels willen den Colonel zu Hause.«
Er mußte unwillkürlich auflachen.
Ich glaube, er ging doch ein wenig beruhigter nach Hause, als es Paul endlich gelang, ihn hinauszukomplimentieren. Anschließend schickte Paul mich für eine Stunde ins Bett. Ich hatte den Eindruck, daß erst zehn Minuten vergangen waren, als Paul vorsichtig die Tür öffnete und auf Zehenspitzen Ins Zimmer kam.
»Der Colonel ist jetzt da«, brummte er mürrisch. »Er hockt schon seit einer Stunde in der Küche.«
Offensichtlich hatte Paul ihn bereits zu beruhigen vermocht. Bestimmt aber hatte er ihn davon überzeugen können, daß ich im Augenblick ein äußerst zerbrechliches Geschöpf sei, denn er stürzte nicht mit der gleichen Hast auf mich los wie Tim. Er entschuldigte sich vielmehr außerordentlich höflich, mich geweckt zu haben, aber die Tasse in seiner Hand zitterte doch verdächtig. Er sah sehr alt und sehr gebeugt aus. Ich hatte jetzt ziemlich nahe am Wasser gebaut, und sein Anblick schnürte mir
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