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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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dir das wirklich lieber, denk doch nach, wie es bei uns war, wir haben über Gott und die Welt gesprochen, Jakob wird mit dir nie etwas anderes bereden als seine Teleportationsexperimente. Marie starrt ins Buch. »Lass mich in Ruhe!«, zischt sie, wirft die Decke zurück und geht in die Küche, um nach den Keksen zu sehen.
    Während Marie das Blech aus dem Backrohr holt und das nächste hineinschiebt, liegt Sonja in Gerys Bett und versucht, nicht ans Keksbacken zu denken. Wie gern sie immer ausgestochen und verziert hat! Aber das geht dieses Jahr nicht, denn Sonjas schöne Küche (bordeauxrot, Granit und Edelstahl) ist jetzt nicht mehr schön, still und heimlich hat sich das Wasser durch einen undichten Abwasserschlauch geschummelt und unter den Unterschränken zum Schlafen gelegt. Jetzt wirft der Parkettboden Wellen. Da der Versicherungsvertreter auf Urlaub ist, hat Sonja selbst bei ihrer Haushaltsversicherung angerufen. In der Hotline hat man sie darüber aufgeklärt, dass der kaputte Boden in den Zuständigkeitsbereich des Vermieters falle, also hat Sonja bei der Hausverwaltung angerufen, wo man ihr versprochen hat, einen Gutachter zu schicken, allerdings erst nach den Feiertagen, denn bis dahin seien alle Termine ausgebucht, und Sonjas Fall sei so dringend ja nicht, einen Boden könne man schließlich auch in drei Wochen erneuern. Also hat Sonja die kleine Reisetasche gepackt und ist zu Gery gefahren.
    »Wozu habe ich einen Versicherungsvertreter?«, hat sie geschimpft, als sie ihre Schminkutensilien auf seiner Waschmaschine verteilt hat. Dreimal hat sie auf sein Anraten die Versicherung gewechselt, da kommt eine Menge Provision zustande, kann er sich im Süden bräunen. In Wirklichkeit ärgert sie etwas anderes, denkt sie: Wozu bin ich Versicherungsmathematikerin geworden, wenn ich dann bei meiner Haushaltsversicherung genauso herumstreiten muss wie alle anderen?
    Gery hat nichts gegen Sonjas permanente Anwesenheit, wer sich selbst nicht spürt, spürt auch den anderen nicht. Wenigstens ist er jetzt nicht mehr allein. An den Abenden, an denen Sonja nach dem Büro in ihre eigene Wohnung fährt, um neue Wäsche zu holen, schlüpft Gery in den Mantel und fährt zu Hedi, wo er sich für zwei Stunden auf ihr geblümtes Sofa setzt. Danach fährt er noch manchmal in den fünfzehnten Bezirk und setzt sich an den Pokertisch. Als ihn der Typ, der ihm damals das Koks verkauft hat, herausfordernd ansieht, schüttelt Gery den Kopf. Seit Sonja neben ihm liegt, kann er wieder schlafen. Nur vor dem Einschlafen, wenn er Sonjas regelmäßigem Atem zuhört, denkt er noch manchmal an Joe. An Joe und an Marie. Und wie Joe dann alles verbockt hat.
    Wenn er seine Marie wirklich so geliebt hat, was in aller Welt hat ihn dazu gebracht, stundenlang auf seiner Brücke und danach in dem kleinen Wirtshaus am Fuße der Stiege zu sitzen und jedem, der es hören wollte, von seiner Liebe zu Marie zu erzählen, anstatt einfach zu ihr zu fahren?
    »Du kannst das nicht verstehen«, antwortete Joe, als Gery ihn danach fragte.
    Dabei wäre alles so einfach gewesen. Marie war in ihn vernarrt, und Joe war noch viel vernarrter in sie. Marie war sein Engel, seine Santa Virgina. Aber Joe hatte Bedürfnisse, die er bei einer Heiligen nicht ausleben konnte. Dabei: Hat man Joe gefragt, hat er geantwortet, keiner jemals so treu gewesen zu sein wie Marie. In Gedanken war er immer bei ihr, jede Minute des Tages, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und die ganze Nacht hindurch. Dachte er nicht an Marie, so träumte er von ihr. Marie war seine ständige Wegbegleiterin, jedes Wort, das er sprach, richtete er an sie, jeder innere Monolog war in Wahrheit ein Dialog. Sein Leben hatte wieder Sinn, seit Marie in sein Leben getreten war, nichts sonst war von Bedeutung. Und ausgerechnet sie konnte er nicht so lieben, wie sie es verdient gehabt hätte. Jede andere hatte mehr Joeliebe erhalten als Laetitia, die Fröhliche, Maria, die Heilige, Schutzpatronin all derer, die nicht mehr ins Leben zurückfinden. Weil er ihr nichts vorlügen wollte, wie all den anderen, sprach er nicht von Zukunft, dabei wünschte er sich nichts sehnlicher als ebendas: eine Zukunft mit ihr. Doch so etwas wie Zukunft, dessen war sich Joe sicher, existierte für ihn nicht. Manchmal war er sich nicht einmal sicher, ob die Gegenwart existierte, oder ob sich das alles nicht bloß einer ausgedacht hatte und er nichts weiter war als eine kranke Idee in einem kranken Hirn.
    Dabei hätte Marie nichts

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