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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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sich Anweisungen geben, wie sie die Platten zu halten und den Lampenschirm zu drehen habe. Es
funzonierte
trotzdem nicht. Als der Vater nach Hause kam, und die Mutter von Jakobs verzweifelten Bemühungen erzählte, schwoll seine Brust an.
    »Das kann auch nicht funktionieren«, sagt er, als er sich zu seinem Sohn setzte. »Du musst das Licht bündeln, und dein Doppelspalt hier ist auch nicht geeignet.«
    Traude schloss leise die Tür und ging wieder in die Küche.
    Am Ende des Abends wusste Jakob, der den Doppelspalteffekt in der
Sendung mit der Maus
gesehen hatte, dass das Licht aus kleinen Teilchen besteht, die sich auf Wellen fortbewegen. Am übernächsten Tag nahm der Vater den Sohn mit ins Institut und zeigte ihm das Experiment mittels Laser und professioneller Versuchsanordnung. Dass das Muster auf der Leinwand sich veränderte, je nachdem, ob der Vater den Weg der Lichtteilchen mit einem Detektor maß oder nicht, faszinierte den Volksschüler über alle Maßen.
    Mit sieben Jahren wusste Jakob mehr über Quanten als die meisten Maturanten. Er wusste um die Welleneigenschaft der Elektronen, wusste, dass ein Photon keine Ruhemasse besitzt, und dass man Impuls und Ort nie gleichzeitig messen kann. Mit acht klärte er seine Mitschüler darüber auf, dass in der Quantenphysik alles Zufall sei, dass es keine Regeln gäbe, sondern die Regel darin bestehe, dass Gott eben doch würfle.
    Mit neun erkannte er, dass seine Belehrungen der Grund dafür waren, dass er von den anderen gemieden wurde, dass sie ihn
Spinner
nannten und sich gegen die Stirn tippten, wenn sie an ihm vorübergingen. Als Jakob mit zehn von der Volksschule ins Gymnasium wechselte, nützte er die Chance. Er wollte kein Spinner mehr, er wollte einer von vielen sein. Also verheimlichte er sein Wissen, schoss stattdessen mit Papierfliegern, gab freche Antworten, warf Juckpulver in die Rollkrägen derer, die wenig Ansehen besaßen, und schmiss die Brillengläser des dicken Herbert Sichozky in den Mistkübel. Wenn er dabei erwischt wurde, zuckte er mit den Schultern und setzte ein freches Grinsen auf.
    »Was wollen Sie, so sind Kinder nun einmal«, gab Norbert Stierschneider zur Antwort, als man ihn in die Sprechstunde bestellte. Ihm war wichtig, dass die Leistungen seines Sohnes stimmten, die Erziehung zur Gemeinschaft, wie er es nannte, sei Aufgabe des Lehrkörpers, da wolle er sich nicht einmischen, von so etwas habe er keine Ahnung. Aber von Physik hatte er eine Ahnung, und ihm war völlig schleierhaft, wie es sein konnte, dass sein Sohn nur ein
Gut
in diesem Fach hatte, ob der Lehrer Komplexe habe, fragte er den Klassenvorstand, weil sein Sohn mehr von Quantenphysik verstünde als er, denn anders könne er sich das wirklich nicht erklären. Kein Wunder also, dass man es bald aufgab, den Professor in die Schule zu zitieren.
    Kam Norbert Stierschneider von den Elternabenden nach Hause (die Elternabende nahm er als Vater sehr ernst, wenn er auch die übrige Erziehung Traude überließ), hatte er meist eine Rüge auszusprechen.
    Sie saßen im Arbeitszimmer, der Professor in seinem Ledersessel hinter dem Schreibtisch, auf dem sich die Papiere häuften, Jakob davor. Ob ihm im Unterricht langweilig sei, fragte der Vater, ob das vielleicht der Grund sei, warum er so viel Unsinn treibe und sich im Unterricht nicht einbringe. Jakob antwortete stets mit einem knappen »Ja«, denn er hatte schnell herausgefunden, dass es ausgerechnet dieses Ja war, das der Schimpftirade seines Vaters ein jähes Ende setzte. Norbert Stierschneider hörte aus dem Wort Langeweile den Begriff Hochbegabung heraus, strich zufrieden mit der Hand über die Schreibtischplatte, schob ein paar Notizblätter zur Seite und gab ein »Mhm, mhm« von sich. Damit war das Gespräch beendet, Jakob musste versprechen, sich mehr Mühe zu geben, dann begab man sich zu Tisch, wo die Mutter schon mit dem Essen auf sie wartete.
    Als Jakob mit neunzehn immatrikulierte, war es dennoch nicht die Physik, für die er sich entschied, sondern die Medizin. An der dortigen Fakultät kannte man ihn nicht, dort durfte er endlich sein, was er immer schon sein wollte: ein vom Vater abgekoppeltes Wesen.
    Dass es dann ausgerechnet die Physikvorlesungen waren, die ihn am meisten interessierten, zeigt wieder, dass man seiner Bestimmung nicht entgehen kann. Jakob gab nach und fügte sich. Nach drei Semestern Anatomie, Molekularbiologie, Biochemie und noch ein paar anderen Fächern, die ihn nicht interessierten, schrieb er

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