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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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verschwörerischer Eintracht zusammen.
    Auch er ist einmal einer von ihnen gewesen. In diesem Hof hat er seine Nase in die Bücher gesteckt, in diesem Gebäude hat er sich zum Schlafen hingelegt.
    Willi war kein Junge, der fürs Internat geschaffen war. (Aber welcher Junge ist das schon?)
    »Schau mal, den brauchst bloß anrempeln, schon heult er.«
    Sie machten es absichtlich. Gingen viel zu knapp an ihm vorbei, stießen mit ihren Schultern gegen seine. Damit die anderen seine Tränen nicht bemerkten, versteckte er sich hinter seinen Büchern. »Streber!«
    Später wandte sich dann sogar Hannes ab. Ging ihm aus dem Weg, kümmerte sich um andere, Jüngere. »Die brauchen mich mehr als du«, erklärte er, als Willi anklopfte. »Du bist doch jetzt groß.«
    Willi ging zurück, über den langen Korridor. Die anderen waren fast alle außer Haus, auf der Suche nach Alkohol und Mädchen. Willi legte sich aufs Bett und starrte gegen die Decke. Musste an die vielen schönen Dinge im Zimmer des Erziehungsleiters denken, die Atommodelle und Planetenumlaufbahnen. Wie er alles hatte anfassen dürfen, ehrfürchtig mit der Hand darüber gestrichen war, damals, als Hannes ihn das erste Mal mit in sein Zimmer genommen hatte. Als Willi mit großen Augen vor dem Tisch mit den Modellen gestanden war und Hannes gesagt hatte: »Du darfst sie gerne berühren.« Willi hatte die Hand ausgestreckt und ganz vorsichtig eines der Gebilde aus Kugeln und Verbindungsstücken hochgehoben. »Sieht ein Atom wirklich so aus?«, fragte er, und Hannes strich ihm sanft über den Rücken. »Ja, so sieht es aus.« Die Berührung am Rücken warm und weich. Eine Berührung wie aus einer anderen Zeit. Als hätte es so eine Berührung schon einmal gegeben. Den Kopf in Hannes’ Bauch vergraben. Nicht nur einmal. Immer wieder.
    Willi wischt sich mit dem Handrücken den Rotz unter der Nase weg. Ein junger Mann tritt aus dem Gebäude, dreht den Kopf nach ihm um. Weiß nichts mit dem heulenden alten Mann anzufangen, senkt den Kopf und geht rasch weiter. Willi zieht ein zerknülltes Taschentuch aus dem Sakko hervor. Putzt sich die Nase und steckt es wieder ein.
    Hannes war der Einzige, der ihn wirklich gern gehabt hat. Willi schließt die Augen. Spürt, wie jemand vorbeigeht. Niemand rempelt ihn an. Ich bin unsichtbar. Willi zieht die Frühlingsluft ein und öffnet die Augen. Sieht auf die Uhr. Ein Ruck geht durch seinen Körper. Dann dreht er sich um und schreitet mit weit ausholenden Schritten die Gasse hinunter.

12  Draußen breitet sich die Nacht aus, macht es sich gemütlich und hockt sich auf die Fensterbretter. Marie betrachtet die Kräutertöpfe vom Vorjahr, dürres Rosmarin, grauwelkes Basilikum. In einem der Töpfe liegt noch immer der abgebrannte Knallkörper, der sich zu Silvester auf den Balkon verirrt hat, und das Ende März. Am Boden Tonscherben und Erde. Tüchtige Frauen beseitigen den Unrat rechtzeitig zu Frühlingsbeginn, noch tüchtigere haben erst gar keine Blumentöpfe draußen stehen, nicht im Winter, nicht, solange es friert. Der Mensch ist ein seltsames Tier, er strebt danach, seine Umgebung sauber zu halten, es könnte ja jemand herüberschauen.
    Marie hebt mit den Zehen eine leere Zigarettenschachtel von den Betonfliesen auf und wirft sie in die Höhe. Sie landet vor der Balkontür, wo sie noch bis Ende April liegen bleiben wird.
    Hinter der Fensterscheibe holt Jakob die Pizza aus dem Rohr und winkt. Gegenüber öffnet jemand das Fenster. Es ist der Mann der Staubtuchfrau, Marie kann ihn jetzt ganz deutlich sehen, wie er sich weit nach vorne beugt, im Mundwinkel eine Zigarette, und die Flamme aus der Hand springen lässt. Wie gerne sie sich jetzt zu ihm stellen würde. Am Fenster gegenüber stehen und in die eigene Küche schauen, zusehen, wie Jakob die Pizza aus dem Rohr holt, das Fenster öffnet, den Kopf weit hinausreckt und ihren Namen ruft. Vielleicht würde der Mann mit ihr reden, und sie würde sagen: »Das, was du sagst, interessiert mich mehr als das, was Jakob mir gleich erzählen wird.« Er würde sie groß ansehen. »Wieso verlässt du ihn dann nicht?«, und sie würde die Antwort nicht kennen. Vielleicht würde er auch nichts fragen, sondern einfach mit dem Kopf auf die Staubtuchfrau deuten und sagen: »Das da hinten ist meine Frau, und das, was sie mir erzählt, interessiert mich schon lange nicht mehr. So ist das Leben, that’s life, love it or leave it, du musst dich entscheiden«, und sie würde denken, dass sie sich

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