Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)
Bürgermeister, es war seine Idee.« Er kratzt sich am Hinterkopf. »Sonst hab ich noch nicht viel verkauft. Zum Leben wird es nie reichen, aber vielleicht würde es mir gar keinen Spaß machen, wenn ich davon leben müsste.«
Gery muss daran denken, dass er sich einmal vorgestellt hat, von seinen Filmen leben zu können. Seit er die Filmschule verlassen hat, hat er kein einziges seiner Projekte realisiert. Ich sollte endlich etwas tun, denkt er. Seit er jeden Morgen so früh aufstehen muss, ist er am Nachmittag völlig erledigt. Vielleicht aber ist es auch nur eine Ausrede. Kramer schafft es schließlich auch, etwas zu Ende zu bringen.
Den Rest des Nachmittages sitzen sie in der Sonne. Kramer holt Weißwein und noch eine Flasche Mineralwasser, Gery erzählt von Hedi.
»Wenn dein Film fertig ist, würde ich ihn gerne sehen«, sagt Kramer.
Der Weg hinauf zur Wiese ist steil. Sie steigen über knorrige Wurzeln. Zwischen den Blättern der Laubbäume sickert die Sonne durch und malt helle Flecken auf den Waldboden. Ein Hund läuft mit wedelndem Schwanz an ihnen vorbei, kurz darauf tritt ein Mann zwischen den Bäumen hervor, um seinen Hals hängt eine Hundeleine.
In diesem Abschnitt des Waldes begegnen ihnen nur wenige Spaziergänger. Die meisten halten sich weiter unten auf, in der langgezogenen Allee, wo sie mit ihren Stöcken und Hunden herumlaufen oder Kinderwägen schieben.
Auf der Holzbank sitzt ein Paar in Wanderstutzen und Knickerbocker. Der Mann mit der Hundeleine blinzelt kurz in die Sonne und ruft dann seinen Hund, der an den Schuhen des Paares schnuppert. Der Schäferrüde gibt ein kurzes Schnauben von sich, schüttelt dann leicht den Kopf und rennt zu seinem Herrn.
Jakob und Marie breiten die Decke aus und stellen den Korb darauf. Das Paar beobachtet sie dabei, im Gesicht der Frau breitet sich ein Lächeln aus. Jakob holt Papiersäcke aus dem Korb sowie eine Flasche Wein und zwei Plastiksektgläser. Dann kramt er in seinem Rucksack nach dem Korkenzieher. Er hat sich wirklich Mühe gegeben, denkt Marie.
In den Papiersäcken sind Wurst, Käse und Brot. Als Jakob ein in ein Küchenhandtuch eingeschlagenes Brotmesser aus dem Rucksack holt, muss Marie daran denken, wie sie mit Joe am Ufer des Donaukanals gesessen ist. Sie hatten Wein, Baguette, Oliven und Schafkäse gekauft. Als Joe versuchte, die Weinflasche mit seinem Taschenmesser zu öffnen, zerbröselte der Korken, also drückte Joe ihn mit dem zugeklappten Taschenmesser in die Flasche, woraufhin der Wein auf seine Hose spritzte.
Jakob schneidet Brotscheiben und legt sie auf den Papiersack. Marie greift sich auf den Kopf, der von der Sonne ganz heiß ist. Ihre Schultern brennen. Gemeinsam ziehen sie die Decke mitsamt dem Essen in den Schatten einer Rotbuche. Dann beginnen sie schweigend ihre Brotscheiben mit Wurst und Käse zu belegen. Marie sieht zu dem Paar, das die Gesichter mit geschlossenen Augen in die Sonne hält, dann zu Jakob, der gerade von seinem Brot abbeißt. Er lächelt sie an, zwischen seinen Zähnen zermanschter Brotteig und Salami. Marie denkt an Joe, wie er lachte und die Rotweinflasche an die Lippen führte. Wie er ihr die Flasche reichte und plauderte. Wie er sie zu sich heranzog. Wie sie sich ins feuchte Gras zurückfallen ließen, Arm in Arm am Ufer lagen. Joe erzählte und Marie spürte seinen Atem an ihrem Ohr. Als sie aufstanden, waren ihre T-Shirts und Hosenboden feucht.
Maries Kopf ruht auf Jakobs Arm. Das Paar auf der Bank ist verschwunden. Stattdessen sitzt jetzt eine junge Frau dort. Ein blondes Mädchen dreht sich mit ausgebreiteten Armen auf der Wiese. Die Frau holt Weintrauben aus dem Rucksack und lockt die Tochter zu sich, steckt ihr eine Beere in den Mund. Das Mädchen setzt sich auf die Bank und baumelt mit den Füßen. Dann sagt es: »Ich seh, ich seh, was du nicht siehst, und das ist rot.«
»Schläfst du?«, fragt Marie.
»Hm. Fast.«
Jakob zieht Maries Kopf mit dem Arm näher zu sich heran.
»Es ist schön mit dir hier«, sagt er.
4 »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich kann sie doch nicht einfach in ein Heim stecken.«
Anna gähnt in den Hörer. Ob sie das nicht morgen besprechen könnten, es sei schon fast Mitternacht.
»Ich war bis jetzt auf der Polizei.« Traudes Stimme überschlägt sich.
»Wieso hast du denn nicht aufgesperrt?«, fragt Anna. »Was musst denn auch gleich die Polizei rufen?«
»Du weißt doch, dass die Mama immer den Schlüssel stecken hat. Ich bin vor der Wohnung
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