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Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)

Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)

Titel: Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Schulmeister
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wirtschaftspolitisches Handlungspotenzial verloren ging (der Konsum wurde kaum stimuliert), dass ein Großteil der Belebung dem Lageraufbau zu danken ist, insbesondere aber, dass wir erst am Anfang der Krise des Systems Finanzkapitalismus stehen.
    Dieser Mangel an Problembewusstsein ist in Europa stärker ausgeprägt als in den USA . Obwohl sich die Wirtschaft in den USA wesentlich besser erholt hat als in der EU , plant die Obama-Administration auch für 2011 expansive Impulse, insbesondere zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. In der EU hat hingegen eine (ausgabenseitige) Haushaltskonsolidierung oberste Priorität.
    Das Ausmaß der Fehleinschätzung der gegenwärtigen Krisenphase wird am Beispiel der Beschlüsse des EU -Gipfels vom März 2010 zum Fall Griechenland besonders augenfällig: Indem die übrigen EU -Länder Griechenland auch für den Fall eines finanziellen Beistands Marktzinsen verordneten, also einen Zinssatz, der um etwa sechs Prozentpunkte über der Wachstumsrate lag, verordneten sie Griechenland die Insolvenz. Denn unter diesen Bedingungen ist selbst bei optimaler Sparpolitik eine nachhaltige Reduktion der Staatsschulden unmöglich. Einmal mehr würden also Forderungen und Verbindlichkeiten aufgebaut, die realwirtschaftlich nicht gedeckt werden können. Da man aber ein Euro-Land nicht pleite gehen lassen kann, werden die übrigen Länder die durch das exorbitante Zins-Wachstums-Differenzial aufgeblähte Staatsschuld Griechenland zu einem erheblichen Teil übernehmen müssen.
    Wenige Wochen später war es dann so weit, die Euro-Länder beschlossen ein Hilfspaket für Griechenland, um die von ihnen verordnete Insolvenz zu verhindern. Mit fünf Prozent wurde ein Zinssatz willkürlich gewählt, noch immer zu hoch angesichts eines prognostizierten Schrumpfens des griechischen BIP um insgesamt sieben Prozent 2010 und 2011.
    Abb. 11: Dollarkurs und Wachstumsdynamik
in der Weltwirtschaft
    Mit dem Fall Griechenland und damit dem Aufkommen der ersten Zweifel an der Solvenz von Euro-Ländern ist die große Krise in ihre Phase 3 eingetreten. Ich habe sie schon vor einem Jahr mit »Heulen und Zähneknirschen« betitelt, weil sich in dieser Phase der Restaurationsversuch von Phase 2 (»Wir machen weiter wie vorher«) als gewaltige Illusion entpuppen wird. Ein neuerlicher Absturz der Aktienkurse und diesmal auch der Anleihenkurse, eine weitgehende Orientierungslosigkeit der Eliten, massive Sparpläne für die öffentlichen Haushalte und rabiate Versuche der »Finanzalchemisten«, sich durch immer tollere Spekulationen gegen Staaten für den Mangel an langfristig profitabler Veranlagung schadlos zu halten, führen zu einem weiteren Konjunktureinbruch.
    Am stärksten ist die kognitive Dissonanz und damit die Verstörung bei den europäischen Eliten ausgeprägt, insbesondere in Deutschland. Denn sie haben die neoliberale Weltanschauung intensiver verinnerlicht als etwa die Eliten in den USA (von China ganz zu schweigen). 9
    In der EU hat sich der »neoliberale Smog« nicht zuletzt deshalb so fest in den Köpfen der Eliten festgesetzt, weil die meisten ihrer Träger glauben, keine Neoliberalen zu sein. Dies verdeutlicht die beliebte Rhetorik über das Europäische Sozialmodell, die im Lissabon-Vertrag verankerten sozialen Grundwerte, das Ziel der Social Coherence, das Reden über die Corporate Social Responsibility etc.
    Doch gilt der Satz »Die Wahrheit ist konkret« (Hegel): Von den Maastricht-Kriterien, über die Arbeitsmarktreformen, die Umstellung der Pensionssysteme, die Privatisierungen bis hin zur Senkung von Sozialleistungen zwecks Minderung der Anreize zur Arbeitslosigkeit, das alles folgte neoliberalen Leitlinien, und »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch« (Brecht). Dies wird die nächste Zeit zeigen.
    Die Ökonomenelite, insbesondere in der EU -Kommission, aber auch in den nationalen Ministerien und Konjunkturforschungsinstituten, wird jedenfalls empfehlen: Ab 2011 muss mit der Haushaltskonsolidierung begonnen werden (wenn nicht noch früher). Diese soll primär ausgabenseitig erfolgen. Allerdings besteht als Folge der neuerlichen Verschärfung der Finanzkrise seit dem Frühjahr 2010 die (kleine) Chance, dass sich PolitikerInnen von den Mainstream-Ökonomen abwenden und neue Lösungen (ver-)suchen wollen (wie Roosevelt 1932 und – teilweise – Obama 2010).
    Abb. 12: Entwicklungstendenzen in den europäischen
Industrieländern
    Voraussetzung dafür ist, dass die Politik – besonders in

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