Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
laufen? Hatte sie nicht ebenfalls das Recht auf Glück? Vielleicht, aber was wenn Drew sich irrte? Wenn er feststellte, dass er sie doch nicht liebte, sondern sein Interesse an ihr mit der Zeit nachließe? Nein, mit einer Entscheidung für Drew musste sie zugleich ihrer Familie abschwören und ihre Heimat verlassen. Das konnte sie nicht. Auch wenn es ihr das Herz brach. Schnell wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel und versuchte den Stall, das Verlies und den Mann darin aus ihrem Kopf zu verbannen. Julia beschleunigte ihren Schritt und lief hinunter nach Stonehaven.
Auf halbem Wege kam ihr Gregory auf seinem Wallach entgegen. Noch unschlüssig, wie sie ihm nach ihrem Streit gegenübertreten sollte, nickte sie höflich, als er wenige Meter vor ihr zum Stehen kam und sich aus dem Sattel gleiten ließ.
„Guten Tag, Julia“, grüßte er ebenfalls etwas unterkühlt, wobei er sorgsam den Weg hinter ihr absuchte.
„Mylord.“
„Wohin des Weges?“, fragte er.
„Zu Edleys. Ich brauche dringend einige neue Bänder. Und das elfenbeinfarbene Kleid - Ihr wisst sicher welches ich meine - braucht einen neuen Saum. Ich habe mir überlegt dort vielleicht rubinrote Spitze einzunähen. Was haltet Ihr davon?“, gab Julia bereitwillig Auskunft.
Wenn ihr Leben nicht noch schwieriger werden sollte, dann musste sie versuchen, für Gregory wieder das naive Mädchen zu spielen - auch wenn ihr das inzwischen wie eine unlösbare Aufgabe erschien.
Wie erwartet hörte Gregory schon ab der Hälfte ihrer Antwort nicht mehr zu, sondern zurrte stattdessen seinen Sattel fester.
„Nun denn. Ihr solltet Euch bei diesem unsteten Wetter nicht länger als nötig in der Stadt aufhalten“, riet er ihr emotionslos.
Ein Blick in den Himmel zeigte Julia, dass Gregs Rat nicht unbegründet war. Aber sie konnte ihren Gang nicht aufschieben, denn die Sorge um ihre Männer und besonders um Drew brachten sie sonst noch um den Verstand.
„Es wundert mich sowieso, dass Ihr Euch nach den ganzen Vorfällen allein auf den Weg gemacht habt.“
„Sicher, Ihr habt recht. Ich werde mich beeilen. Und da Ihr den Schmuggler bereits gefangen habt, gibt es doch für mich keinen Grund mehr, mich zu fürchten. Oder stimmt es etwa, was Fanny berichtet hat?“
Vielleicht konnte sie sich den Weg in die Stadt ja doch sparen, wenn ihr Gregory nun sagen würde, was sie so dringend hören wollte.
„Natürlich nicht. Ihr könnt Euren Weg unbesorgt fortsetzen. Die Kräuterfrau hat sich geirrt. Kein einziger Schmuggler wagt sich mehr an unsere Küste.“
Stolz drückte er die Brust heraus und lächelte siegessicher.
„Euer Vater hat bereits heute Morgen einen Boten nach London entsandt, der dem König dies mitteilt.“
Julia wurde blass und sie war überzeugt, sich verhört zu haben.
„Was? Seid Ihr Euch denn auch sicher? Fanny hat es aber doch gesagt“, stotterte sie.
„Julia, bitte. Ihr könnt mir glauben: Der Mitternachtsfalke ist gefangen und wird, so wahr ich hier stehe, niemals wieder sein Unwesen treiben. Dafür werde ich sorgen!“
Der unverhohlene Hass in Gregs Worten schnürte Julia die Luft ab. Nun war sie sich sicher: Wenn es nach ihrem Verlobten ginge, würde Drew sterben.
Nachdem sich Greg verabschiedet hatte, gab sie ihrer Schwäche nach und setzte sich am Wegesrand ins Gras. Ihre Gedanken rasten. Nichts ergab einen Sinn. Wenn sie überhaupt noch etwas erreichen wollte, brauchte sie dringend Hilfe, denn ihre eigenen Pläne schienen seit einiger Zeit, nicht mehr wirklich zu funktionieren.
Mit lautem Klopfen trat Julia wenig später in die Schmiede von Butch Stone, nachdem sie weder Tom Edley in seinem Laden noch Ian O’Brian im Gasthof angetroffen hatte. Hier war es sehr laut. Das stetige Schlagen des Hammers auf das glühende Eisen auf dem Amboss hallte schrill in ihrem Kopf wieder. Alan war auf seine Arbeit konzentriert und bemerkte ihre Anwesenheit nicht. Er formte das Metall unter seinen Schlägen, bis das rote Glühen immer dunkler wurde und er das Metall zurück in die Esse hielt, um es erneut anzuheizen.
Diesen Moment nutzte sie und machte sich bemerkbar.
„Alan!“, rief sie.
Verwundert drehte sich der junge Mann um. Als er Julia erkannte, legte es sofort seine Arbeit nieder und trat zu ihr an die Tür.
„Lady Julia, was wollt Ihr denn hier?“, fragte er und bot ihr an, nach draußen zu gehen.
Da die Temperatur in der Schmiede unangenehm hoch war, stimmte Julia nickend zu.
Erleichtert sog sie die frische Luft
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